Mittwoch, 28. März 2012

Van Gogh lebt

Direkt neben dem Istanbul Modern, Istanbuls Museum für Moderne Kunst, befindet sich eine neue Dauerausstellung mit dem Titel „Van Gogh Alive“. Bei meinem Besuch,gemeinsam mit Andrea, haben wir uns nicht mit der Ausstellungsbeschreibung aufgehalten, uns Karten gekauft und die Ausstellung besucht, in der Erwartung vorzufinden, was man gewöhnlich in einer Kunstausstellung  vorfindet: Malereien, Plastiken, Installationen. „Van Gogh Alive“ allerdings kommt ohne die Präsentation eines einzigen Originals aus. Entsprechend groß war unsere Überraschung als wir einen großen, abgedunkelten Saal betrachten, an dessen Seitenwänden großflächige Leinwände angebracht waren, auf die Van Goghs Werke projiziert wurden. Unterlegt wurde die Darstellung von dramatischer klassischer Musik. Bei unserem Eintreten fächerte sich an der Wand neben mir eine Waldlandschaft auf, Van Goghs Werk auf 3 Mal 3 Metern. Dennoch war unser erster Gedanke: Das ist alles? Keine Malereien, keine Originale, nur große Bildprojektionen?
Wir ließen uns darauf ein, setzten uns in eine Ecke und ließen die Bilder zu uns kommen. Nach einer Weile tauchten wir ein in das Konzept. Die Ausstellung reist durch Van Goghs Lebenswerk, präsentiert seine 10jährige Schaffenszeit mit der thematischen Anordnung seiner bekanntesten Werke. Es beginnt mit seinen Selbstportraits, die plötzlich von allen Seites des Saals auf den Betrachter zurückblicken. Die Malereien sind dabei nicht bloß abfotografiert: Sie sind zurechtgeschnitten, rangezoomt. Interessante Ausschnitte stehen neben ganzen Kompositionen.
Die Kuratoren der Ausstellung bezeichnen die einzelnen Etappen der Präsentation als „Movements“, als Bewegungen. Der erste Abschnitt präsentiert Van Goghs frühe Schaffensphase. Zu sehen sind Landschaften seines Heimatlandes, den Niederlanden: In Erdtönen gehalten breiten sich Bauerdörfer und Äcker auf den Leinwänden auf. Es folgen seine Werke aus seinem Aufenthalt in Paris, dann ruckelt eine animierte Eisenbahn durch eine seiner Skizzen und ein „Movement“ präsentiert seine Arbeiten aus Südfrankreich. Seine Sonnenblumen bekommen einen eigenen Abschnitt, ebenso Van Goghs düstere, späte Lebensphase in der er mit Depressionen und Nervenkrankheiten zu kämpfen hatte. Das letzte „Movement“ endet dramatisch, mit Van Goghs wahrscheinlich letztem Bild. „Weizenfeld mit Raben“ zeigt einen reifen Acker mit einem schweren dunklen Himmel. Das Bild breitet sich auf alle Leinwände auf, plötzlich ist ein Schuss zu hören und die schwarzen Raben erheben sich aus ihrer Starre und flattern wild gen Zuschauer. Das Finale ist eine Anspielung auf Van Goghs Tod. Dieser hatte sich auf dem Acker hinter seinem Haus selbst angeschossen und starb drei Tage später in den Armen seines Bruders Theo. Ebenjener hatte Vicent Zeit seines Lebens finanziell unterstützt, denn, das ist eine weitere Wahrheit aus Van Goghs dramatischen, traurigem Leben: In den 10 Jahren seiner künstlerischen Schaffenszeit hat er mehr als 2000 Werke geschaffen, doch konnte er nur ein einziges von ihnen verkaufen.

Andrea und ich vor "Sternennacht"
Die Ausstellung ist eine neue Form Kunst zu erleben. Sie ist neu und intensiv, man glaubt sich in einer anderen Welt zu befinden, ähnlichem jenem Zustand, in dem man sich in einem Kinosaal während eines besonders gutem Film befindet, in dem man sich verlieren kann. Hinterher erwacht man in die wirkliche Welt, überrascht, sie nie verlassen zu haben.
Die Präsentation ist gewaltig und mitreißend: Mal blickt man auf eine graue, gar triste Ackerlandschaft, dann wieder erstrecken Blumen in kraftvollen Farben über alle Seiten des Saals. Die Bilder sind animiert: Eine Windmühle reißt den Acker aus seiner Starre, plötzlich drehen sich ihre Räder. Sein berühmter Nachthimmel in „Sternennacht“ öffnet sich erst langsam. Zunächst ist über dem nächtlichen Dorf nur ein schwarzer Fleck zu sehen, ehe sich seine markanten Kreisel auf dem Nachthimmel ausbreiten. Das alles ist kombiniert mit einer wechselhaften, beeindruckenden Klangkomposition, die den Kunstgenuss um einen Sinn erweitert.

„Van Gogh Alive“ ist Kunstaufbereitung für die Mediengeneration. Seine Malereien sind nicht mehr stille, beeindruckende Exempel der Kunstgeschichte. Sie sind eingebettet in eine Präsentation des Lebenswerks des bedeutenden Künstlers. Die Ausstellung ermöglicht es, seine Werke neu kennenzulernen. Bleibt nur die Frage: Wird eine gewöhnliche Kunstausstellung von nun an überflüssig? Wer braucht schon Originale, wenn moderne Techniken die Bilder gestochen scharf auf meterhohe Wände projizieren können? 
Sicher ist: Mit dieser Form der Darstellung lässt sich eine breitere Masse erreichen. Vielleicht sollte man sie als eine intensive Licht- und Toninstallation verstehen, weniger als Malereiaustellng. Für einen Kunstliebhaber, kann sie die Oiginale nicht ersetzen, denn trotz beeindruckender Schärfe, kann sie die Malereien nicht in all ihrer Fülle wiedergeben. Den Pinselstrich und Farbauftrag zu bewundern, ist bei einer Fotografie unmöglich, es bleibt die Reduktion auf die Bildsprache und Farbkompostion. 
Trotzdem: Eine ungemein faszinierende Ausstellung im Herzen Istanbuls.

Montag, 19. März 2012

Abschied

Meine Kollegen
Meine Zeit als Englischlehrerin in Istanbul ist offiziell vorbei. Am letzten Freitag habe ich meine letzte Stunde gegeben, habe mich von meinen Kinder verabschiedet und die Schule verlassen. Auch wohne ich nicht mehr bei meinen Gasteltern in Dragos. Unter den kritischen Blicken der Hausfrau habe ich meine Sachen in dem großen Wanderrucksack verstaut, mit dem ich auch eingezogen bin (mit dem Unterschied, dass ich ihn jetzt zwei Mal füllen könnte, weil sich so viele neue Sachen angesammelt haben), habe ihn mir auf den Rücken gehieft und meine Zuhause auf Zeit verlassen. Ich wohne jetzt wieder in Europa, nicht in Bremen, aber immerhin auf der europäischen Seite Istanbuls: In Osmanbey. Ich habe ein kleines, billiges Zimmer gefunden und wohne nun mit zwei türkischen Studenten zusammen. Es ist schon eine Umstellung nach vier einhalb Monaten wieder selbstständig kochen und putzen zu müssen, aber ich freue mich darauf, selbst einzukaufen und zu kochen. 
Am häufigsten bekomme ich im Moment die Frage gestellt, was ich mit meiner freien Zeit denn jetzt anfangen würde. Rumhängen? Feiern? 
Sicher auch. Aber direkt neben mir liegt eine lange Liste mit Dingen, die ich noch erledigen will: Blogeinträge über Themen, die ich bisher vernachlässigt habe. Vor allem aber: Weiterhin Istanbul erkunden. Es gibt eine Reihe von Orten, die ich noch nicht kenne. Oder besser kennen lernen möchte. Ein gefühl nämlich ist ungebrochen stark: Ich bin noch nicht fertig mit Istanbul. Und nicht mit der Türkei. Ein wichtiger Punkt auf meiner Liste ist, durch die Türkei zu reisen.

Mittwoch, 14. März 2012

Nicht ohne Fett!

Ich weiß aus Erzählungen, dass viele Erasmusstudenten in der Türkei zunehmen. Das wundert mich nicht, denn die türkische Küche ist nicht nur lecker, sondern eben auch sehr fettig. Von dem Hang zum Übersüßen werde ich außerdem erzählen, wenn es an die Nachspeisen geht. Nur so viel: Ich habe heute meine türkischen Freunde an der Uni besucht und wurde Zeuge, wie sich jeder von ihnen 4-5 Stücke Zucker in den Tee gepackt hat. Mein Erstaunen konnte keiner so recht nachvollziehen. Immerhin: Es kann doch gar nicht süß genug sein. Oder?
Zürck zum Fett, denn wann immer ich der Köchin meiner Gastfamilie beim Kochen zusehe, ploppt in meinem Kopf die Frage auf: Esse ich wirklich das, was gerade zusammen mit einer halben Flasche Öl in der Pfanne schmort? Mit Fett wird hier nicht gespart; der "weniger ist mehr"-Gedanke allenfalls belächelt. Einige Gerichte schwimmen geradezu im Fett und wenn nicht, dann werden sie eben mit Buttersoße übergossen. Gleiches gilt für die türkischen Salate, die nur gut aussehen, solange sie nicht angerichtet sind. Joghurt Dressing oder Balsamico sind gänzlich unbekannt, stattdessen wird über dem Salat eine Flasche Öl ausgekippt. Dazu gibt es etwas Zitronensaft. Den besten Salat meines Lebens werde ich sicher nicht in der Türkei bekommen.

Hier nun eine kleine Auswahl an Hauptgerichten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit versteht sich:

Ich liebe Biber Dolmasi, mit Pilav und Hackfleisch gefüllte, grüne Paprika. Nach dem Füllen werden die Paprika in einer Tomatensoße gekocht. Sie gehören zum Standartreportoire der Köchin und kommen jede Woche auf den Tisch. Das stört mich nicht besonders, denn wenn es nach mir ginge, würde ich nichts anderes mehr essen. Am besten schmeckts mit einem großen Löffeln Naturjoghurt dazu, den ich als Soße für jeden Anlass zu schätzen gelernt habe.


Gefüllt werden nicht nur Paprika, sondern auch noch andere Gemüsesorten. Sehr gängig ist die mit Hackfleisch gefüllte Aubergine (Karniyarik). Sie ist lecker und unvorstellbar fettig. Ehrlich: Sie schwimmt im Fett. Überhaupt wird die Aubergine in der türkischen Küche oft verkocht, aber es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass man sie so zubereitet, dass sie hinterher einen Fettanteil von +50% hat...

Natürlich kommt eine Beschreibung der türkischen Küche nicht ohne Erwähnung von Kebap aus. Den gibt es in vielen verschiedenen Variationen, mit Lamm oder Hühnchenfleisch, im Brötchen oder mit Reis auf dem Teller, scharf oder weniger scharf. Ich esse am liebsten Tavuk Kebap. Der ist relativ langweilig, es handelt sich lediglich um Hünchenfleisch, das am vom Spieß gebraten wurde.
Ein bisschen ausgefallener ist der Iskener Kebap (Alexander Kebap). Es handelt sich um auf Brot servierter Kebap, der mit Tomatensoße übergossen wird. Das Brot hat zuvor in Butter gebadet und das schmeckt man auch. Ich habe selten etwas sooo fettiges gegessen. Dazu gibts dann aber noch einen Klacks Joghurt, um dem ganzen den Anschein von etwas Gesundem zu geben.

Ebenfalls in vielen Ausführungen bekommt man Köfte, die türkische Frikadelle. Der Urtyp, die Kuru Köfte, die klassische Brat-Frikadelle  wird aus Hackfleisch, Brot, Zwiebeln, Pfeffer, Pul Biber (grobem, scharfem Paprika), Kreuzkümmel, Salça (Tomaten- oder Paprika-Paste) und Petersilie gemacht. Serviert werden sie meist mit Kartoffeln. In den Lokanta (so nennt man die Restaurant, in denen die Gerichte in großen Auslagen angerichtet sind und man sich das gewünschte durch Draufzeigen aussuchen kann) schwimmen die Standartköfte zusammen mit Kartoffeln und Tomaten in einer Tomatensoße. Es gibt aber auch Restaurants, die Köfte pur anbieten. Zu den Frikadellen gibt es dann nur Salat, Brot und einen großen Haufen Zwiebeln.

Lahmacun ist in Deutschland als Türkische Pizza bekannt. Es handelt sich um ein dünnen Teigfladen, der mit Hackfleisch, Gemüse und Gewürzen belegt wird. Im Restaurant bekommt man dazu Salat, Zwiebeln, Zitrone und eine scharfe Gewürzmischung, mit der man den Lahmacun belegt und ihn zum Essen zusammenrollt.


Zur Vollständigkeit ein sehr typisches türkisches Gericht:  Kuru Fasülye. Es handelt sich um einen Eintop aus großen weißen Bohnen, der zusammen mit Pilav (türkischem Reis) gegessen wird. Es schmeckt nicht schlecht, aber etwas langweilig und jedesmal, wenn ich die Bohnen esse, habe ich das Gefühl, das eine interessante Geschmacksnote fehlt.



Manti wird eine Art türkische Ravioli genannt. Ich habe gelesen, sie sei aufwendig zu machen und wollte das nicht glauben - bis ich einmal selbst zugesehen habe. Die Ravilostücke werden traditionell einzelnd per Hand gemacht. Also: Teig schneiden, mit Fleisch belegen, einrollen, kochen. Wenn man bedenkt, dass jedes einzelbe Teigstück nur 1x1cm groß ist und man jede Menge dieser Stückchen vorbereiten muss, um eine Familie satt zu bekommen, dann: Ja, es ist aufwendig, Manti zu machen. Man könnte die Teigstücke natürlich auch größer machen, damit es nicht ganz so lange dauert. Es gibt aber Zubereitungsweisen, bei denen sie so klein sind, dass mehr als 30 Manti auf einen Löffeln passen. Serviert wird das fertige Gericht mit Joghurt und Buttersoße/ Minze/ Ketchup.

Vorspeise


Hier nun eine kurze Fortsetzung des Berichts über türkisches Essen mit dem Kapitel, vom dem ich ehrlich gesagt am wenigsten Ahnung habe: Vorspeisen, türkisch Meze. Deshalb werde ich auch nur einige vorstellen, nämlich jene, die ich auch selbst probiert habe (und bei denen ich mich hinterher an den Namen erinnern konnte).


Mein Favorit sind defitiv die mit Pilav gefüllten Weinblätter in Olivenöl, Zeytinyağlı Yaprak Dolması, obwohl ich nicht recht sagen kann, weshalb überhaupt. Die Weinblätter haben einen starken Geschmack, etwas süsslich. Wenn sie frisch sind und noch nicht richtig durchgelegen, dann hat man das Gefühl, man würde auf Blättern herumkauen. Was man ja auch tut. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Herstellung sehr zeitaufwendig ist, weshalb viele Türken diese Meze lieber im Feinkostgeschäft kaufen, statt sie selber machen. Auf den großen Märkten werden aber auch kleine Maschinen angeboten, in die man Weinblätter und Füllung legt und dann dreht: fertig ist sind die gefüllten Weinblätter.


Cacık ist Naturjoghurt, der gewürzt und mit kleingeschnittenen Gurken versetzt wird. Ich esse ihn lieber zum Essen anstatt davor. Und mein kleiner Gastbruder ist ganz wild adrauf: Er isst solange davon, bis nichts mehr übrig ist.


Neben  Döner Kebap ist Börek warscheinlich das bekannteste Gericht der türkischen Küche in Deutschland. Börek lässt sich am ehesten als eine Art Pastete beschreiben. Dazu wird abwechselnd dünner Teig und Fleisch oder Käse gestapelt und anschließend im Ofen gebacken. Es gibt noch weitere Füllvarianten, über Spinat bis hin zu Kartoffeln (der bereits angesprochene Wagemut in Sachen Kolenhydratkombi). Börek kann man warm und kalt essen.


 Eine Nebenform ist das Sigara Böreği, bei dem die Füllung auf den Teig gegeben und dieser anschließend gerollt und dann gebacken wird. Ich finde, Sigara Böreği schmeckt am besten warm.

Peynir...


…heißt Käse. Und wenn man es lang genug ausspricht, zeichnet sich auf dem Gesicht ein breites Grinsen ab, ähnlich dem englischen Pendant „Cheese“. Von Käse wird in meinen letzten Tagen an der Schule viel gesprochen: Ich mache nämlich Fotos von meinen Klassen und überhaupt von allem, das irgendwie Teil meines Alltags war. Die Mitteilung, dass dies meine letzte Woche sei, stieß bei allen Kindern gleichermaßen auf Ablehnung. Für mich völlig unerwartet tat die erste Klasse am Dienstagmorgen (4A) lautstark ihren Widerspruch kund, ein Mädchen fing sogar an zu weinen. So ähnlich setzte sich das fort: In jeder Klasse gibt es einige Kinder, die mich besonders mögen (eben jene, die mir in meiner Pause bis auf die Toilette folgen und meinen Namen umrahmt von Herzen an die Tafel kritzeln, sobald ich den Tafelstift eine Sekunde aus den Augen lasse) und von denen werde ich am Ende der Stunde umringt. Ich musste gefühlte 100 Wangen küssen und Umarmungen verteilen. Einige haben allerdings harter protestiert und von mir eine Erklärung gefordert: Warum musst du gehen? Kannst du nicht bleiben? Wann kommst du wieder? Und alles was ich in meinem schwachen Türkisch darauf antworten kann ist: Ich muss. Nein. Vielleicht in einem Jahr.
Jetzt sind sie also fast vorbei, meine 4 ½ Monate in der Nachmittagsschule. Ich habe 8 Klassen mit insgesamt um die 100 Schüler unterrichtet, grob überschlagen waren es 140 Schulstunden. Ich habe die Grundvokabeln des Englischunterrichts durchgenommen: Zahlen, Farben, Klassenraum, Körper, Tiere, Essen und erste Verben. Ich hatte harte Schulstunden, wirklich, wirklich harte, in denen mich umdrehen und fluchtartig den Raum verlassen wollte. Bei  Klasse werde ich das Unterrichten nicht vermissen. Exemplarisch sei die 4C genannt, als Horrorklasse bekannt, kostete sie mich an jedem Dienstagnachmittag Geduld und Nerven. Beim Zusammenpacken meiner Materialien am Ende der Stunde kam mir jedes Mal der Ausspruch „Schön, wenn der Schmerz nachlässt“ in den Sinn. Schön, die Schule mit der Gewissheit zu verlassen, die Klasse eine ganze Woche nicht unterrichten zu müssen.
Vermissen werde ich die Kinder trotzdem: Ihr Enthusiasmus, die pure Freude, wenn sie eine Frage richtig beantworten können – und dürfen. Vermissen werde ich die Gespräche mit den Kindern, ihr verzweifelter Versuch mir etwas erzählen zu wollen. Ich werde das Gefühl vermissen, mich vor einen vollen Klassenraum zu stellen, noch nicht wissend, wie die Stunde enden wird: Werde die Kinder laut und unaufmerksam sein oder werde ich mit einem Lächeln den Raum verlassen, weil wir eine schöne Stunde hatten und ich den Kindern etwas vermitteln konnte?
Ich werde meine Kollegen vermissen, den Burak, ohne den ich ein ums andere Mal verloren gewesen wäre und der als mein ständiger Übersetzer fungierte. Es wird merkwürdig sein, nicht mehr mit meinen Kollegen zu essen, sondern mit Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann. Ich bin mittlerweile daran gewöhnt, meine Gedanken abschweifen zu lassen, weil ich ohnehin kaum von den Gesprächen verstehe, an denen ich nicht teilnehme. Sprachbarriere in Reinkultur.
Die Kinder in meiner Schule waren vor allem laut, unerzogen und in ihrer Tobsucht nicht zu bremsen. Sie haben mich aber auch vom ersten Tag an ins Herz geschlossen – und ich sie.



Sonntag, 11. März 2012

Marktschreier

In Istanbul gibt es einige Straßenmärkte, die unseren Wochenmärkten ähneln. Auf langen Tischen wird lautstark kunstvoll gestappeltes Obst und Gemüse angepriesen. Das Angebot umfasst aber auch eine Reihe weiterer Lebensmittel: Trockenfrüchte, Gewürze, Fisch und Brot. Außerdem Tücher, Schuhe, Spielsachen, Kleidung so weit das Auge reicht. 

Impressionen eines Marktbesuchs:
Große Auswahl an Kopftüchern


Nüsse und Trockenfrüchte



Ein riesiges Angebot an Eiern
Die richtige Deko ist alles...


 


 


 
Und natürlich Stände mit jeder Menge Kleidung...





... mit eher weniger echten Markenklamotten.
 

Dienstag, 6. März 2012

Oooch Mensch!

Die letzten beiden Wochen in meiner Schule sind angebrochen. Allmählich geht mein Freiwilligendienst dem Ende entgegen: Noch sieben Arbeitstage. Sieben Tage in der Schule, zehn Tage in meiner Gastfamilie. So schnell kann die Zeit vergehen - immer wieder gehört, nie ganz begriffen. Die vier Monate kommen mir abwechselnd sehr kurz vor (wenn ich überlege, wie schnell sie vergangen sind) oder aber auch sehr lang - wenn ich an meine ersten Wochen zurückdenke und mir klar wird, wie viel sich seither verändert hat. Ich habe unheimlich viele Menschen kennengelernt und mir einen Alltag in Istanbul aufgebaut. In weniger als zwei Wochen wird dieses Alltagsleben enden. Das gute daran: Nach dem vergangenen, beinahe perfekten Wochenende habe ich ein günstiges, passendes Zimmer in Osmanbey (auf der europäischen Seite) sicher. Mein Alltag in Asien endet, meine Zeit in Istanbul aber nicht. Und oben drauf ließ sich im Beat-Club schließlich doch noch mein verschollener Wintelmantel auftreiben. Bei der Gelegenheit habe ich gleich Freundschaft mit der Belegschaft geschlossen und mein Bier spendiert bekommen.


An dieser Stelle nun eine kleine Beschreibung des Alltags, der in naher Zukunft enden wird:
An Dienstagen und Mittwochen habe ich Vormittags um halb zehn Unterricht. Für einen langschlafverwöhnten Studenten mit einem Schlafrhythmus, der ein Einschlafen vor ein Uhr nachts ausschließt, führt dieses unmenschlich frühe Aufstehen dazu, dass ich gewöhnlich im Halbschlaf aus dem Haus taumle und zum Zug renne, weil ich es nicht schaffe, rechtzeitig loszugehen. Im öffentlichen Nachverkehr folgt dann der Quetschzustand, den ich bereits mehrfach beschrieben habe: Viel zu viele Menschen drücken sich in alte Züge, die so überfüllt sind, dass die Türen nicht selten nicht mehr schließen. Das vollbepackte Gefährt rattert dann eine halbe Stunde gen Kadiköy, von wo ich entweder den Metrobus weiter nach Ucuncayir nehme oder aber in Feneryolu austeige und von dort aus zu meiner Schule laufe. Der Schulweg ist so eine Sache für sich: Mittlweile erkennen mich die Kindern, passen mich ab und laufen mir hinterher, indem sie "Teacher, Teacher!" rufen, sich aber weit genug von mir entfernt halten, um kein stockendes Gespräch mit ihrer, der türkischen Sprache nur beschränkt fähigen, Lehrerin führen zu müssen. In der Schule selbst begrüßt mich der Security-Mann, dann meine Kollegen, mit denen ich jeden Morgen aufs Neue die gleiche Konversation führe. Übersetzt ins Deutsche etwa:
"Guten Morgen. Wie gehts?"
"Ganz gut, danke. Und selbst?"
"Auch gut. Das Wetter ist heute schön/ schlecht/ warm/ kalt."
"Ja, sehr schön/ schlecht/ warm/ kalt."
"Hast du schon gefrühstückt?" 

Um halb zehn dann beginnt der Unterricht, mehr oder weniger pünktlich. Ich muss meist spontan entscheiden, was ich mit den Kindern arbeite. Generell kann ich davon ausgehen, dass sie keinen Schimmer haben, was ich ihnen in der letzten Stunde versucht habe, beizubringen. Ich beginne nicht an Punkt 0 - aber auch nur knapp darüber.
Je nach Tagesverfassung ist es mit den Kindern schwierig bis sehr schwierig. Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Die Arbeit mit den Kindern ist toll, macht mir Spaß und ich mag meine Schüler. Aber sie sind auch nervtötend, anstregend, lärmend, unaufmerksam und unerzogen. Verglichen mit Schülern in deutschen Klasse (wie ich sie kenne), sind meine Schüler wahre Katastrophen. Nichts hält sie auf ihren Stühlen, wenn sie die Antwort auf eine Frage geben wollen und auch sonst finden sie immer einen Grund mitten in der Stunde durch den Klassenraum zu rennen. Der Geräuschpegel geht beständig gegen 100 Dezibel. Wenn sich nicht mindestens zwei Schüler prügeln, dann ist es kein normaler Schultag.
Besonders beliebt bei den Schülern ist natürlich die Pause, zehn Minuten in jeder Stunde. Sobald allerdings das Wort "Teneffüs"- Pause aus meinem Mund kommt, gibt es für die Kinder kein Halten mehr. Ich kann ihnen noch so oft "Nicht rennen, nicht schreien, nicht prügeln" hinterherrufen - es verhallt in ihrem Geschreische. Pause bedeutet also: Alle anwesenden Kinder preschen kreischend durch das Treppenhaus. Sie mit meinen mangelnden Sprachkenntnissen zurechzuweisen: Schwierig. Sie hinterher wieder ruhig zu bekommen: Aussichtslos. Besonders fasziniert sind die Kinder außerdem von der Tafel, jenem elektronischen Gerät, das mir selbst den einen oder anderen Ausraster bescherrt hat. Wenn es darum geht, nach vorne zu kommen und mit dem Stift an die Tafel zu schreiben, drehen die Kinder förmlich durch. Sie melden sich auch wenn sie keine Ahnung haben, nur um dann auf der Tafel sinnlos vor sich hinzukritzeln, während ich versuche, einen geplanten Unterricht zu gestalten. Was den Unterricht angeht, haben die Kinder ohnehin andere Vorstellungen als ich. Immerhin versuche ich ihnen grundlegende Grammatik und neue Vokabeln nahezubringen. Die Kinder, wie sollte es anderes sein, wollen natürlich nur eines: Spielen. Deshalb ist neben "Wann ist Pause?", "Spielen wir heute?" die meist gestellte Frage. 
Zwischendrin gibt es natürlich auch immer wieder Kommunikationsprobleme. Die Kinder sind dem Trugschluss verfallen, dass ich sie besser verstehen würde, wenn sie lauter sprechen oder durcheinander schreien. Das ist nicht der Fall. Meistens reagiere ich dann mit: "Ist deine Frage denn wichtig?", was zugegeben, kein Kind wirklich objektiv beantworten könnte. Mich mitten im Unterricht zu fragen, ob ich die Schlümpfe kenne, war für die Kinder so wichtig, dass eine ganze Traube um mich herumstandund auf mich einbrüllte. Überhaupt: Wenn gar nichts mehr geht, dann muss Burak als Übersetzer ran. So auch heute, als eines der Kinder von ihm wissen wollte, was denn "Mensch" heißen würde. Konnte Burak natürlich auch nicht beantworten, denn er spricht kein Wort Deutsch. Als die Kinder es wiederholten, begriff ich es schließlich: In einem besonders anstregenden Moment hatte ich laut "Oooch, Mensch" gestöhnt. Ein typischer Auspruch für mich. Und dann war bei den Kindern hängen geblieben. Oooch Mensch!

Der Unterricht geht bis fünf Uhr. Anschließend fährt mich mein Kollege Burak mit dem Auto zu meiner Zughaltstelle, während mein Chef neben ihm auf dem Beifahrersitz sitzt und versucht mit mir Türkisch zu reden. Anfangs war das ein hoffnungsloses Unterfangen, mittlerweile klappt es schon einigermaßen. Was folgt, ähnelt dem Hinweg: ich quetsche mich in den Zug, quetsche mich raus, laufe nach Hause.