Dienstag, 7. Februar 2012

Der Weg ist das Ziel

Straßenzug in Sariyer
Mit leiser Schadenfreude habe ich mir die Fotogalerien über den Kälteinbruch in Europa angesehen. Festgefrorene Autos, meterhohe Schneeberge - und zweistellige Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Unerwartet erweist sich das Überwintern in Istanbul als verdammt guter Einfall. Die Kälte der letzten Woche ist vergessen, seit letzten Freitag zeigt das Thermometer frühlingshafte Temperaturen. Samstag waren es gut 12 Grad bei strahlendem Sonnenschein. Einer Eingebung folgend (oder vielleicht lässt sich an dieser Stelle auch von einer spontanen, undurchdachten Schnapsidee sprechen), haben wir am Samstag beschlossen, mit Bussen irgendwie ans Schwarze Meer zu fahren. Irgendwie. Wir kannten die ungefähre Richtung und hatten einige Namen notiert. Wirklich anzukommen war allerdings zweitrangig. Unser Mantra lautete: Der Weg ist das Ziel. 
Mit Metro und Minibus fuhren wir zunächst gen Norden, in den nördlichsten Stadtteil Istanbuls: Sariyer. Direkt am Bosporus entlang, wo kleine Fischerboote in den Wellen des Flusses schaukelten. Sariyer scheint kein Teil von Istanbul mehr zu sein. Beinahe niedlich, kleinstädlich erscheinen die Straßenzüge. Der Eindruck der beruhigten Kleinstadt täuschte - wie uns ein Deutschtürke an der Bushaltestelle bestätigte: Der rasante Bevölkerungsanstieg hat auch vor den Außenbezirken nicht halt gemacht. Die Zahlen sprechen für sich: Noch 1950 lebten rund 1 Million Menschen in Istanbul, 2010 waren es an die 13 Millionen - und das sind nur die offiziellen Zahlen. Je nach Schätzung werden die Einwohner Istanbuls mit bis zu 20 Millionen Menschen angegeben. Aus dem dörflichen Sariye wurde ein belebter, bevölkerungsreicher Stadtteil. Und in der Rush Hour ist die Hauptstraße ebenso verstopft wie im restlichen Istanbul: es gibt kein Durchkommen mehr.


Wir stiegen dort in den ersten Bus, der bis ans Meer fahren sollte. Mit irrsinniger Geschwindigkeit heizte der Gelenkbus über die Landstraße - um uns dann scheinbar im Nirgendwo auszuspuken. Kein Meer, kein schwarzes. Nur eine ruckelige Dorfstraße und ein Bakkal, das türkische Gegenstück zum Tante-Emma-Laden. Dann ein Hoffnungsschimmer: Ein Schild, das zu einem Beach Restaurant weist. Ohne Meterangabe allerdings. Doch am Horizont, zwischen den Bäumen können wir schließlich ein Schiff ausmachen, scheinbar Kilometer entfernt. Wir folgten dem Schild, eine Landstraße hinunter, die sich endlos schlängelte. Der Weg ist das Ziel. Aber der Weg war eine Landstraße im Nirgendwo mit einem Schiff am Horizont.
Dann ein Musterbeispiel für die türkische Hilfsbereitschaft: Ein Türke hielt am Straßenrand und sammelt uns drei bkeloppte Deutsche ein, die scheinbar ziellos die Straße hinab trotteten. Wir sagen ihm, dass wir zum Meer wollten und stellten und auf eine längere Fahrt ein. Doch dann, vielleicht einen Kilometer weiter hielt er für uns. Wir konnten es erst kaum sehen, weil es sich hinter einem Fischrestaurant versteckt hielt: das Schwarze Meer. Vor uns erstreckte sich nun eine kilffgesäumte Bucht, samt Badestrand. Nur einen kurzen Aufstieg später standen wir am Rand der Klippe und bestaunten das Schwarze Meer, das sich vor uns erstreckte. Am Horizont eine Ansammlung Containerschiffe, die darauf warteten, in den Boporus einfahren zu dürfen. Unter uns das Meer, das gegen die Klippen brandete. Über uns der wolkenlose Himmel; der Horizont nun sanft gefärbt, von der nahenden Dämmerung kündend. Als Blickfang ein großer Mond über dem Kliff auf der gegenüberliegenden Seite. Ein atemberaubender Anblick.
Wie kann der Weg das Ziel sein - wenn das Ziel einem so die Sprache verschlägt?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen