Donnerstag, 9. Februar 2012

Meine Katze gibt es


Wieder ein Tag in der Schule vorbei und es ist beinahe erstaunlich, wie schnell meine Unterrichtsstunden vorbeigehen. Der Umgang mit den Kindern ist schleichend leichter geworden – parallel zu meinen wachsenden Türkischkenntnissen. Es scheint mehr Eindruck auf sie zu machen, wenn man sie in ihrer Muttersprache zurechtweist, als in Deutsch lautstark vor sich hin zu fluchen. Letzeres hat bei den Kindern lediglich ausgeprägte Lachanfälle zur Folge gehabt.
Heute hatte ich die Fünftklässler, namentlich 5B („Bäsch Bää“) und 5C („Bäsch Dschää“). Auch hier deutliche Fluktuation zu verzeichnen: In der ersten Stunde gab’s bei drei Schülern praktisch Einzelunterricht, in der zweiten tröpfelten nach und nach, mit bis zu 45 Minuten Verspätung, acht Schüler ein. Spaß macht der Unterricht auch, weil sie alt genug sind, dass ich ihnen grammatikalische Grundlagen beibringen kann. Ich versuche es zumindest. Mir ist nicht so recht klar, wie man mich eigentlich mit gutem Gewissen auf die Schüler loslassen kann. Das muss man sich mal überlegen: Ich kann kein Türkisch, was eine Kommunikation mit den Kindern deutlich erschwert. Mein Englisch ist auf relativ gutem Niveau – aber wie man es unterrichtet, davon habe ich keine Ahnung. Überhaupt habe ich noch nie wirklich Kinder unterrichtet, mein pädagogisches Grundwissen lässt sich also mit gutem Gewissen als rudimentär deklarieren. Meine Unterrichtsmethoden werden auch nicht überprüft, man lässt mich einfach mal machen (was genau ich eigentlich unterrichten soll hat mir im Übrigen auch keiner gesagt). Nur hin und wieder kommt mein Chef in die Klasse, um nach dem Rechten zu sehen. Er steht dann grinsend an der Wand und wenn ich den Raum verlasse um Kopien zu machen, dann streitet er sich bei der Rückkehr mit den Kinder, welcher Fußballverein der bessere wäre (er ist großer Beșiktaș-Fan und lässt keine Möglichkeit aus, das klarzustellen). Ein anderes Mal begrüßte mich bei meiner Rückkehr ein im Chor vorgetragenes „I love Werder Bremen“, das er ihnen in meiner Abwesenheit beigebracht hatte.
Auf dem Lehrplan stand heute: „I have got“ plus Verneinung und Fragestellung. Eine wirkliche Freude war es aber, die türkische Übersetzung an die Tafel zu kritzeln. Ich habe dabei gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, glücklich, die türkische Form zu kennen. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Schon mein Türkischbuch begrüßt mich mit den denkwürdigen Sätzen:
„Wir haben gute und schlechte Nachrichten für Sie. Die schlechte Nachricht sind alle damit verbunden, dass Türkisch einfach anders ist als westeuropäische Sprachen.“ Und mit anders treffen es die Autoren auch wirklich sehr gut. Immerhin finden sie eine versöhnliches Ende nach dieser Ankündigung: „Wenn sie sich erst einmal an die Tatsache gewöhnt haben, dass das Türkische anders funktioniert, ist es eine sehr regelmäßige und logische Sprache.“ Alles sehr richtig. Was das anders genau meint, ist schwer zu erklären, wenn man sich noch nie mit einer außereuropäischen Sprache beschäftigt hat. Der auffälligste Unterschied ist zum einen veränderte Satzstellung: Wenn ich das Gefühl habe, wie Meister Joda die Worte zu verdrehen, dann bin ich mit dem türkischen Sprachgefühl im Einklang. Der andere große Unterschied kommt in Form von Suffixen daher: Wo wir im Deutschen ein extra Wort einbauen, kleben die Türken einfach ein paar Buchstaben an das Wort ran. Fertig aus. Das muss man sich so vorstellen: Während das Englische „I have got…“ dem Deutschen „Ich habe…“ so verdächtig ähnlich sieht, dass man eine enge Verwandtschaft unterstellen könnte, funktioniert das ganze Haben und Nicht-haben im Türkischen nach einem ganz anderen Prinzip. Für das Verb „Haben“ gibt es keine genaue Übersetzung. Will man beispielsweise sagen „Ich habe eine Katze“, dann heißt „Benim kedim var“ (kedi = Katze), was so viel bedeutet wie „Meine Katze gibt es“. Anfangs habe ich das noch für banal einfach gehalten – bis ich dann auf das Phänomen der Vokalharmonie getroffen bin, über das ich mich hier nicht näher auslassen will. Lediglich so viel: Auch im türkischen wird dekliniert und jede Endung kann je nach Vokalharmonie bis zu vier verschieden Formen annehmen. Und wer jetzt vier mit sechs multipliziert, hat eine Ahnung, von meiner kleinen, alltäglichen Suffix-Hölle.
In der Praxis kann das Buchstabenkleben zu bizarren Buchstabenansammlungen führen: „Avusturyalılaştırttıramadıklarımızdandır“ beispielsweise ist ein Wort, für wir im Deutschen immerhin einen Satz mit 15 Wörtern brauchen würden. Er heißt so viel wie: „Er/Sie/Es gehört zu denjenigen, für die wir niemanden finden konnten, der/die sie 'österreichisieren' lassen konnte.“ Solche Wortgerüste machen wirklich große Freude, wenn man versucht, Türkisch als Fremdsprache zu lernen. Dünger für meine Motivation, wirklich.

Ein kurzer Nachtrag noch, über den Jungen vom Imbiss gegenüber. Ich habe Burak gefragt, ob er wüsste, ob der Junge zur Schule geht – oder nicht. Er meinte schon ja, aber die viele Arbeit im Imbiss fordern ihren Tribut: Er hat ausschließlich schlechte Noten.

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