Montag, 9. Januar 2012

Surreal

Trotz eines grauen, regnerischen, wolkenverhangenen Himmels habe ich dem Drang widerstanden, den Tag im Bett zu verbringen und hab mich auf den weiten Weg gen Europa gemacht, um das Istanbul Modern, das Museum für Moderne Kunst zu besichtigen. Die Hinfahrt nahm gewohnte Zeit in Anspruch: Eine Stunde Minibus (weil der Fahrer mit nervenaufreibender Langsamkeit vor sich hintuckelte), eine halbe Stunde Fähre und dann ein zwanzigminütiger Fußmarsch, der von der Fähre aus sehr viel kürzer gewirkt hatte. Immerhin musste ich dabei über die Galata Brücke und das führte mir ein Gespräch ins Gedächtnis, dass ich vor kurzem mit deutschen Erasmusstudenten geführt habe: Wenn nämlich Freunde von daheim zu Besuch kommen, fallen ihnen die kleinen Schrullen und Merkwürdigkeiten der Türken auf, die uns am Anfang auch komisch vorkamen, die uns aber ganz allmählich nicht mehr auffallen. Die Funktion der öffentlichen Verkehrmittel ergibt mittlweile einen Sinn, der Penetranz der Markschreier begegnet man mit einem leichten Kopfhochziehen. Andere Sachen erklären sich einfach nie, beispielsweise die Tatsache, dass beim Frühstück traditionell keine Teller verwendet werden. Stattdessen wird der ganze Tisch mit Krümmeln bedeckt und dann wieder und wieder mit Papiertücher abgewischt, bis alle Krümmel im Mülleimer gelandet sind. Ließe sich durch Teller vermeiden - man benutzt sie trotzdem nicht. Könnte daran liegen, dass beim Frühstück Brot mit den Händen in Stücke gefetzt und dann zusammen mit Käse, Oliven, Tomaten, Gurken und anderem in den Mund gesteckt wird. Trotzdem: Eine unnötige, große Krümmellei, dessen Sinn sich mir nicht erschließen will.
Der Gedanke kam mir in den Sinn, während ich den Männer zusah, die von der Brücke aus nach Fischen angeln. An jedem Tag, zu fast jeder Tageszeit kann man sie dort stehen und angeln sehen, während geschäftige Passanten an ihnen vorbeigehen. Warum sie es tun (als Hobby oder um tatsächlich Fische aus dem Bosporus zu fischen), ist mir klar. Trotzdem: Wie sie so aufgereiht, dicht nebeneinander ihre Angeln vom Geländer hängen lassen, sieht ungemein schrullig aus. Zumal gleichzeitig reichlich freier Platz am direkten Flußufer vorhanden ist...

 



 




Nachdem ich weiter am Flussufer und in den Seitenstraßen umhergeirrt bin, während sich ein immer dichter werdender Nieslregen über mich legte, stand ich schließlich vor dem roten Eingangsschild des Istanbul Modern - nur damit mir kurz darauf drei äußerst hilfbereite Wachleute mitteilen konnten, dass das Museum jeden Montag geschlossen ist. Vorher einfach Öffnungszeiten zu checken, hätte mir einen zwei Stunden Weg erspart. Man lernt fürs Leben. Immerhin befand sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Ausstellung von Salvador Dali - also gönnte ich mir stattdessen eine gehörige Portion Surrealismus. Die Austellung war stilecht im Tophane Palast untergebracht, mit hohen, gewölbten Decken. Allerdings erwarteten mich dort nicht die großformatigen Malereien, die ich dort vermutet hatte. Keines der berühmten Dali Motive - keine zerflossenen Uhren, keine Schubladenmenschen. Stattdessen aber sehr interessante, surreale Aquarelle und Mischtechniken, Drucke und Zeichnungen. Vor einigen Bild habe ich mich wunderbar geekelt, andere haben mich dazu gebracht, lauthals zu lachen (ein Gesicht, dass die Hauthülle eines anderen Gesichtes isst), wieder andere waren so faszinierend gemalt, dass ich sie minutenlang anstarren und Dalis Fertigkeiten bewundern musste. Auf jeden Fall eine gelungene, wenn auch kleine Ausstellung.
Die übrige Zeit bis zur Sprachschule tigerte ich in der Umgebung herum, besichtigte zwei Moscheen und fand hinter der einen von ihnen einen verfallenen, alten Hamam, durch dessen Fenster ich spähte. Ein schöner langer Tag.

Der verfallene Hamam, den ich gefunden hab
Die Ausstellung im Tophane Palast
Die Ausstellung von innen


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