Donnerstag, 16. Februar 2012

Schwein gehabt

Meine Schuhe leben. Sie habe die Tortur durch den türkischen Schuster überlebt. Lassen sich gut tragen, quietschen nur beim Laufen, als würde ich auf kleinen Badeenten herumtreten...

Heute bekam ich einen unverhofften Einblick in die türkische Kultur, als sich ein augenscheinlich harmloses Tierratespiel unverhofft in eine religiöse Grundsatzdebatte verwandelte. Schauplatz: Der Klassenraum; Unterricht mit der 5B. Ich habe den Kindern Ausschnitte von Tieren gezeigt und sie mussten raten, um welche Tiere es sich handelt und wie diese auf Englisch heißen. Mit leiser Freude habe ich eine haarige Spinne und eine glitschige Schlange unter die Bilder gemischt. Doch keine Reaktion bei den Kindern, kein Entsetzen bei den Mädchen. Nur bei dem Mausebild quietsche leise ein Mädchen in der ersten Reihe. Dann aber klickte ich weiter auf das süße Schweinfoto rechts im Bild. Große schwarze Augen; zwei riesige Ohren, die aussehen, als könnte es damit mit genügend Schwung ein Stück weit fliegen. Dazu eine rosarote Stupsnase. Es gab definitiv weniger niedlich aussehende Tiere in meiner Zusammenstellung. 
Für mich völlig unerwartet breitete sich sofort ein Raunen aus im Raum, Mädchen schlugen sich ihre Hefter vor die Augen, kreischten, machten Würgelaute, einige schmissen sich auf den Boden. Die Geräuschkulisse dazu bot eine Palette von "Iiiii" über "Bääääh" bis hin zu "Aaaah". Ich war ehrlich verdutzt, bis mich ein Mädchen in der ersten Reihe aufklärte: "Schweine sind dreckig!" und "Schweine sind ekelig!"
Ich versuchte dagegen zu halten: "Aber dieses Schwein ist doch süß."
Sie schüttelte energisch den Kopf und beharrte darauf, dass Schweine ekelige, dreckige Tier seien.
Dann kam einem anderen Mädchen eine wahnwitzige Idee. Sie fragte mich, ob ich schon einmal Schweinefleisch gegessen hätte. Ich antwortete ehrlich: Ist tatsächlich schon mal vorgekommen. Nicht eben verwunderlich, wenn man aus einem Land kommt, in dem der durschnittliche Jahresverzehr pro Kopf bei 56 Kilo liegt. 
Die Reaktion war unglaublich. Die Kinder haben sich nicht mehr einbekommen, haben gekreischt und gewürgt, mich gefragt, ob ich nicht doch nur einen Witz machen würde. Unvermittelt fragte mich eines der Mädchen, welche Religion ich denn hätte. Was? Christin ist unsere Lehrerin? Sie tat so, als würde sie den Raum verlassen wollen, nur aus Spaß, aber ich fürchte zur Hälfte meinte sie es sehr ernst. Sie beruhigte sich erst wieder ein bisschen, als ich betonte, dass ich nicht in die Kirche gehen würde. Als dann plötzlich der Ruf des Muezzins durch das Fenster hereinschallte, lauschten alle Kinder andächtig.
Das gleiche Spiel wiederholte sich so ähnlich in der Stunde danach. Auch in der 5C: Kreischende, würgende Kinder.

Ich weiß natürlich, dass Muslime kein Schweinfleisch essen und auch mit der Begründung, dass die Tier als unrein gelten. Es hat mich aber schon überrascht, dass die Kinder beim Anblick eines niedlichen Schweinchen Babe in Kreischchöre ausbrechen. Mein Kollege Burak musste lachen, als ich ihm davon erzählt habe. Aber er hat auch bestätigt: Die Kinder in meiner Schule stammen aus (armen) traditionellen, religiösen Familien. Das Schweinefleisch-Verbot dürfte auf einer Ebene mit unser Abneigung gegenüber Hundefleisch stehen.

Mein vierjähriger Gastbruder ist übrigens anderer Meinung. Er findet das Foto von dem Schweinchen sehr niedlich - "Cok tatli"

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