Ich bekommen Routine. Darin, mir in einem überfüllten Zugabteil ein Stückchen Raum zu erkämpfen, das mir erlaubt aufrecht zu stehen und dabei nicht eine Vielzahl unterschiedlicher und durchaus unschöner Düfte in der Nase zu haben. Darin rechtzeitig auszusteigen, ohne die Schilder erkennen zu können, die so angebracht sind, dass man sie aus dem Zug heraus kaum entziffern kann (Mein Trick: Aus einem unerfindlichen Grund fällt direkt vor meiner Station immer das Innenlicht im Zug aus. Sobald ich im Dunkeln stehe weiß ich: Aha, jetzt muss ich raus). Darin, den Kinder Englisch beizubringen und zu diesem Zweck nur ein begrenztes Sammerlsorium aus Phrasen beisammen zu haben: Setzt euch hin! Seid ruhig! Wer weiß das? Seid ihr fertig? Darin, die Computertafel zu bedienen, die in regelmäßigen Abständen den Geist aufgibt oder sich gegen meinen Willen selbtsständig macht. Daran in einer unübersichtlichen Stadt zu leben, in der man niemals wirklich allein ist. Ich habe mich an das türkische Essen gewöhnt, daran keinen Filterkaffee zu trinken (Aber nur so halb. Mal ehrlich - Istantkaffee? Istantkaffee?? Warum?). Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich das schnulzige Fernsehprogramm (darüber muss und werde ich mich in einem späteren Blogeintrag auslassen) nicht verstehe und dass ein Großteil der Gespräche um mich herum nicht mehr sind, als ein aufgeregtes Summen. Tatsächlich bin ich so daran gewöhnt, dass sich alle um mich herum unterhalten, ohne dass ich etwas verstehen kann, dass mich mein Besuch in der Marmara Universität heute völlig aus der Bahn geworfen hat. Ich habe Feyyaz besucht, den Sprachpartner von Marie, die ein Jahr in Istanbul gelebt hat. Bei meinem Besuch im Mai hat er uns die Stadt gezeigt. Er studiert auf Deutsch und dass er meine Sprache lernt, wusste ich natürlich schon vor meinem Besuch. Doch auf dem Weg zur Caféteria haben wir seine Freunde getroffen, die mich - als sei es die normalste Sache der Welt - sofort auf Deutsch angesprochen haben. Das sprechen sie nämlich alle - fließend. Einige, weil sie in Deutschland geboren sind, andere, weil sie Deutsch als Fremdsprache lernen. Es hat tatsächlich einen Moment gedauert, bist ich verarbeitet hatte, dass diese Menschen wirklich, richtig, wahrhaftig mit mir kommunzieren konnten und nicht bloß in Wortfetzen und halbrichtiger Englischgrammatik. Ich konnte es mir nicht verkneifen und habe ihr Lehrbuch durchgeblättert. Hat mal jemand darüber nachgedacht, wie schwer es wäre, Deutsch als Fremdsprache zu lernen?
Beispiel Präpositionen: Türkisch kann so einfach sein! Es gibt nur die Endungen -e/ -a (zum, hin), -de/ -da (im...), und -den/dan (von... weg). Deutsch hingegen ist reich an Präpositionen, Bindewörtern und Unregelmäßigkeiten. Die Türkische Sprache kennt auch keine Artikel. Die deutsche Sprache beglückt gleich mit dreien an der Zahl, deren Zuordnung zu den jeweiligen Nomen vollkommen unverständlich ist. Das Mädchen? Der Schminkspiegel? Die Bohrmaschine?
Das Buch ist dennoch sehr lehrreich. Neben der Grammatik, führen Texte in die deutsche Kultur ein. Neben kleinen Texten über "Heini und Opa beim Angeln" und "Bikulturelle Ehen", lässt sich dort unter dem reißerischen Titel "Esskultur ade!" nachlesen, dass - tja, Deutsche keine Esskultur mehr besitzen. Es wird kaum noch gekocht, stattdessen werden Fertiggerichte gekauft. Mensch, Mensch. Kann den Türken nicht passieren - die besitzen mehr Esskultur als gut für die Figur ist...
Nebenbei habe ich ein interessantes Gespräch über Türken in Deutschland geführt. Viele Türken reagieren ähnlich wie Deutsche auf meine Entscheidung in die Türkei zu gehen und Türkisch zu lernen, nämlich mit: "Wieso ausgerechnet die Türkei?"
Warum nicht? Ich fürchte leider, es gibt einen ganzen Haufen Missverständnisse zwischen Türken und Deutschen - auf beiden Seiten. Der Junge mit dem ich mich heute unterhalten habe, ist in Köln geboren, dort aufgewachsen, hat die deutsche Staatsbürgerschaft inne. Nach seinem Studium will er in Deutschland leben. Und dennoch weiß er Geschichten zu erzählen, von der Art und Weise, wie ihm in Deutschland Unrecht getan worden ist. Aber er sagt zu mir: Türken haben sich in Deutschland nicht richtig verhalten. Deswegen ist das Verhältnis so angespannt. Eine verworrene Situation.
Deutschtürken haben in der Türkei übrigens ebenfalls einen Ruf weg. In einer Comedysendung wurde in einem Sketch der typische Deutschtürke folgendermaßen parodisiert: Extrem weite Hose, XXL-Shirt, Cappi in der Stirn und dicke Goldkette um den Hals. Auch Hidir fragte mich in einem Gespräch: "Warum laufen Deutschtürken eigentlich alle wie Gangster rum?"