Freitag, 30. Dezember 2011

Messer und Gabel

Die Zeit rennt seit ich begonnen habe, meine Abende in der Abendschule zu verbringen. Jetzt sind die ersten vier Wochen des Kurses um und ich habe die grundlegende Grammatik der Sprache fundierter gelernt, als in meiner Selbstlektüre mit einem - wie sich jetzt im Sprachkurs herausgestellt hat - ziemlich löchrigen Lernbuch. Außerdem zwingt mich der Kurs dazu, regelmäßig etwas zu tun. Wenn ich mir vornehme, alleine zu lernen, dann gerate ich zwangsläufig in einen Konflikt mit meiner schwach ausgeprägten Selbstdisziplin.

In der Schule läuft es weiter wie gewohnt, mit der Ausnahme, dass ich in den jüngeren Klassen größere Probleme bekommen habe. Die ohnehin schon sehr lebhaften Kinder haben angefangen meine Autorität in Frage zu stellen, was sich in einer durchgehend nervenaufreibenden Lautstärke und schlechter Mitarbeit äußert. Auch wenn Burak mir versicherte, dass die anderen Lehrer ähnliche Probleme mit den Kindern hätten, gab er mir den Ratschlag, die Kinder mehr auf Abstand zu halten. Ich finde das sehr schade, denn ich würde gern die Möglichkeit nutzen mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Der jetzige Unterricht in den 3. und 4. Klassen kostet allerdings wirklich Nerven und ist außerdem unbefriedigend, denn die Fortschritte im Stoff sind gering. Als ich am Donnerstag dann eine 5. Klasse unterrichtete, war ich von der anhaltenden Stille so überrascht, dass ich die Klasse verwundert "Schlaft ihr?" fragte.
Am Dienstag musste der Unterricht außerdem später anfangen, denn wir beiden Lehrerinnen waren in der Küche gefangen. Das Schloss klemmte und der Schlüssel konnte nicht aufgetrieben werden. Nach einer Viertelstunde schließlich, mussten wir uns mit Messer und Gabel den Weg nach draußen freibrechen. Immerhin befand sich das Frühstück auf unserer Seite der störrischen Tür.

Nun nähert sich das Ende des Jahres und in meiner Sprachschule haben wir bereits Silvester gefeiert, natürlich unter dem türkischen Titel: "Christmas Party". Ich werde das neue Jahr zwischen den beiden Kontinenten begehen, bei einer Bootsparty auf dem Bospurus!





Das sind die Mädels aus meiner Sprachschule. Ganz rechts steht meine Türkischlehrerin Emine.

Sonntag, 25. Dezember 2011

Heilig Abend

Und dann habe ich es schließlich doch gefunden: Weihnachten in Istanbul. Meinen Heiligen Abend habe ich gemeinsam mit 19 anderen Studenten aus aller Welt gefeiert. Die Gästen kamen mit Italien, Deutschland, Ungarn, Belgien, Holland, Griechenland und der Türkei aus immerhin sieben verschiedenen Ländern. Bekocht von unserem italienischen Gastgeber und verwöhnt von vier Gängen, mit frischem Fisch, italinischer Pasta, Salaten, Garnelen und leckeren Desserts, schufen wir uns unser Weihnachtsfest. Vervollständigt wurde das ganze durch stimmungvolle Musik in allen Sprachen (wir deutschen Mädchen steuerten Rolf Zuckowkis unvergessenes "In der Weihnachtsbäckerei" bei). Selbst ein bisschen Deko konnten wir auftreiben: Lichterketten, Kerzen und mein kleiner blinkender Plastiktannenbaum. Und schließlich hatten wir sogar einen echten kleinen Weihnachtsbaum, keine 30 Zentimeter hoch und unverwöhnt von edlem Wuchs - aber immerhin nicht aus Plastik. 
Der Abend hielt noch eine Überraschung bereit, als ich nämlich mit einem Mädchen, das ebenfalls in Bremen studiert, ins Gespräch kam. Wir fanden dann nämlich bald heraus, dass wir im letzten Semester nicht nur in den gleichen Vorlesungen gesessen hatten, sondern in Bremen quasi Nachbarn sind - sie wohnt nur zwei Häuser von mir entfernt! Solche Zufälle gibts!
Um die Nachbarn unserer Gastgeber zu schonen, verlegten wir unsere Weihnachtsfeier um Mitternacht nach Taksim, wo wir bis in die Morgenstunden tanzten. Das ist Weihnachten in Istanbul: Kosmopolitisch, improvisiert und unvergesslich.
Am Abend überraschte uns der erste Schnee in Istanbul, der kräftig von Himmel rieselte, aber nicht liegen blieb. Hinsichtlich der Temperaturen ist der Winter nun aber doch in Istanbul angekommen: Sie sind auf ein paar Grad über dem Nullpunkt gefallen.

Samstag, 24. Dezember 2011

Frohes Fest

Es ist schon merkwürdig: Meinen Kaffee trinke ich aus einer Tasse mit einem, den Tannenbaum schmückenden, Weihnachtsmann drauf; neben mir stehen ein kleiner blinkender Plastiktannenbaum und Weihnachtspaketen aus Deutschland mit Geschenken, natürlich in Weihnachtsoptik. Aber nach Weihnachten kann man hier lange suchen.
Wenn ich an Weihnachtstrickfilme aus meiner Kindheit zurückdenke, dann sehe ich immer den Weihnachtsmann vor mir, der seine Geschenke an die entlegendsten Orte der Welt bringt - an den Nordpol und in die Wüste zum Beispiel - wo dann dunkelhäutige Kinder dankbar die Arme in die Luft reißen. Ja hat dem Weihnachtsmann denn niemand gesagt, dass man ihn dort gar nicht kennt? Die Türken haben zwar den ganzen Weihnachtsklimbim übernommen - Plastiktannen, singende Weihnachtsmänner und ordentlich Lametta. Aber "Weihnachten" kennen sie nicht. In den letzten Wochen habe ich immer und immer wieder erstaunten Türken erzählt, dass unser Weihnachten am 24. ist. Und dann in einem zweiten Schritt versucht zu erklären, dass Weihnachten für uns sehr wichtig ist. Als es dann aber darum ging, die deutschen Weihnachtsbräuche zu erklären - Schokolade im Schuh, Adventskränze, Adventskalender, Geschenke, Weihnachtsbaum - da erntete ich große Augen. Unser Fest in reich an diesen Bräuchen, das Opferfest im Islam kommt hingegen unscheinbar daher.
Mir selbst ein Stück Weihnachten zu schaffen, hier in Istanbul, ist schwer. Weihnachten ist eben mehr als das ganze schmuckvolle Drumherum. Ich spreche nicht allein von dem christlichen Gedanken dahinter, sondern eben auch von Menschen, die das gleiche kulturelle Erbe teilen. Weihnachten ist immer auch verbunden mit den Erinnerungen an die Kindheit, mit den Bräuchen, die, wenn man sie erklärt, komisch klingen - warum zündet man denn an vier Sonntagen Kerzen an und warum stellt man sich einen geschmückten Tannebaum ins Wohnzimmer? Wer diese Erinnerungen nicht teilt, für den ist es schwer zu verstehen, warum Weihnachten so wichtig ist. 

Ich werde mir mit Erasmusstudenten einen schönen Abend machen und die Weihnachtssüßigkeiten aus den Paketen vernichten. Zusammen mit dem Plastiktannenbaum und einer Weihnachtslied-Playlist auf Youtube (jedes Jahr unvermeidlich: Das "Dezemverträume" Album von Rolf Zuckowski rauf und runter zu hören) werde ich mir hier eine kleine Weihnachtsbastion im unweihnachtlichen, herbstlich grauen Istanbul schaffen. FROHE WEIHNACHTEN!

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Weihnachtspost

Mein verzweifelter Versuch, die Weihnachtspost auf den Weg nach Deutschland zu bringen, gipfelte in der Erkenntnis, dass Bürokratie auch in der Türkei heimisch ist - und Postbeamte international missgelaunt zu sein scheinen, quasi als Form interner Handlungvorgabe. Montag noch ärgerte ich mich über die Tatsache, dass nach halbstündiger Suche nach der nächsten Postfiliale (Türken schicken dich lieber in die falsche Richtung anstatt nichts zu sagen), diese gerade zehn Minuten zuvor, um fünf Uhr nachmittags nämlich, ihre Türen geschlossen hatte. Heute hingegen wäre ich ohne Feyyaz Hilfe (den ich zum Mittag in der Marmara Universität besucht habe) in der Postfilale (heißt in der Türkei PTT) verloren gewesen. Minutenlanges diskutieren mit dem Postbeamten führte dazu, dass Feyyaz den Campus verlassen musste, um einen Breifumschlag zu kaufen, der nicht in der Filiale selbst verkauft wurde (warum denn auch?). Ich konnte übrigens nicht selbst gehen, weil ich meinen Perso an einem anderen Eingang abgeben musste - denn an allen Universitäteingängen steht eine Sicherheitskontrolle. Eine Polizeistation samt vollbeladenem (untätigen) Mannschaftswagen gibt es ebenfalls - wozu auch immer. Anschließend füllten wir drei verschiedene Formblätter aus, von denen eines unnötig war und drängelten uns erneut an der Schlange vorbei. Die Post auf den Weg zu bringen (ein großer Briefumschlag, drei Postkarten) kostete uns eine halbe Stunde Lebenszeit.

Mir kam heute die Idee, eine Fotostrecke über wild lebende, schlafende Hunde in Istanbul zu machen. Ich kann mich immer wieder über die Tiere amüsieren, die an den unmöglichsten Stellen zum schlafen zusammenrollen und Passanten stolpern lassen oder sie dazu zwingen, umständlich über sie hinwegzusteigen. Beliebte Orte sind die Mitte des Bürgersteigs, das Drehkreuz vom Bahnhofseingang und Supermarkteingänge generell. Eben überall dort, wo sie wirklich im Weg herum liegen können. Fast ließe sich da eine Absicht vermuten.


Regenwetter

Mein Schulweg (schon komisch seinen Weg zur Arbeit so betiteln zu können) hat sich heute in ein kniffliges Jump-and-Run-Game verwandelt. In Istanbul hat es heute geregnet. Nicht nur ein bisschen, sondern so, wie man es sonst vom besten Bremer Herbstregenwetter gewohnt ist. Obwohl die Niederschlagsrate in Istanbul tatsächlich höher ist als in Bremen, sind die Straßen nicht wirklich auf Dauerregen eingestellt. Auch Hauptstraßen entwickeln sich mitunter zu Flüssen. Und da Autos nicht bremensen wollen/ können/ werden bedeutet das für den Fußgänger, der neben den Riesenpfützen zur Arbeit eilt (ich): Rennen, bremsen, rennen, zur Seite springen, rennen - um dem Wasser von unten zu entgehen. Ansonsten lässt sich das einfach Prinzip "Großes Auto + große Pfütze am Straßenrand = Nasse Fußgänger" anwenden.
Istanbuler sind keine Freunde von Wolkenbrüchen, das lässt sich an einem Tag wie heute auf jedem Gesicht ablesen. Immerhin werden beim ersten Regentropfen an jeder Ecke Regenschirme verkauft. Dennoch steigen scheinbar viele Fußgänger auf öffentliche Verkehrsmittel um, denn mein Morgenzug war gelinde gesagt überfüllt. Eine wirkliche Einsteige-/ Austeigekultur ist quasi unbekannt. Es wird gedrengelt, gedrückt und gequetscht, bis man selbst drin ist. Das Prinzip "Erst aussteigen lassen, dann selbst einsteigen" ist gänzlich unbekannt. Es würde das Morgengewühle allerdings auf revolutionäre Weise minimieren. So aber reiben sich zwei entgegengesetzte Menschenströme rempelnd aneinander, in dem verzweifelten Versuch sich in die überfüllten Fahrzeuge zu quetschen. Und ich bin mittendrin.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Aufgeräumtes Altersheim

 Wochenenden in Istanbul bleiben niemals ruhig. Freitagabend noch habe ich mich kurzfristig zum Einkaufen am Samstag verabredete und steuerte einem ansonsten ruhigen Wochenende entgegen. Mein Einkaufsbummel mit Andrea zog sich dann allerdings hin - auf der europäischen, dann auf der asiatischen Seite, die wir als Geheimtipp entdeckten: Touristenfrei, günstig, bunt und aufregend. Und während ich noch zu Andrea meinte, wie merkwürdig es wäre, in dieser Atmopshäre Weihnachtsgeschenke zu kaufen, standen wir schon vor einem kleinen Geschäft, das überquoll von Weihnachts-Bling-Bling und tanzenden Weihnachtsmännern. Tatsache ist nämlich, dass Türken Weihnachten feiern - allerdings an Neujahr. Und es scheint auch nicht viel an unser Weihnachten zu erinnern - keine der üblichen Bräuche, keine Geschenke. Aber die volle Ladung an Dekoration. Seit heute steht im Wohnzimmer meiner Gasteltern ein zwei Meter hoher, blinkender Plastikweihnachtsbaum, der nach ihren Angaben bis März dort stehen bleibt, weil ihn alle so hübsch finden.
Im Anschluss wollten wir auf die europäische Seite zurück, die hohen Wellen auf dem Bospurus führten allerdings dazu, dass wir von der Fähre auf ein Taxi umsteigen mussten. In der folgenden halben Stunde sahen wir dank der Fahrweise des Taxifahrers unser Leben an uns vorbeiziehen. Der Anschnallgurt war natürlich funktionsuntauglich. Im Anschluss an die Fahrt grinste er uns dreckig an - weil ihm nicht entgangen war, wie wir auf seine halbsbrecherischen Manöver reagiert hatten.
Nach einem kurzen Abendessen im Gehen, bei dem ich Cig-Köfte für mich entdeckte (rohes Lammfleisch mit Tomaten und Kräutern, zusammen mit Salat in Teig eingewickelt), gesellten wir uns zu Andreas "Lieblingsnachbarn". Eine koreanische Mitstudentin namens Sienna hatte Geburtstag und weil die Gäste aus Frankreich, Italien, Südkorea und Deutschland kamen wurde ihr Geburtstagslied fünfsprachig vorgetragen. Anschließend besuchten wir die Studentenparty im Istanbul Live in Taksim.

Während der Fahrt mit dem Metrobus am Samstag habe ich mich mit einem türkischen Mädchen unterhalten, das in Deutschland aufgewachsen und dann in die Türkei zurückgekehrt ist. Als ich sie fragte, welches Land sie lieber mögen würde, deutete sie nur aus dem Fenster und meinte: "Sie es dir an. Ich bin so froh wieder in der Türkei zu sein." Tatsächlich kehren mehr Türken in die Türkei zurück, als von der Türkei Richtung Deutschland emigrieren. Und das nicht ohne Grund: Die türkische Wirtschaft boomt und kann eine Wachstumsrate um 10% vorweisen. Deutschtürken haben in der Türkei häufig sehr viel bessere Zukunftsperspektiven als in Deutschland.
Andrea kehrt in dieser Woche nach 4 1/2 Monaten über Weihnachten nach Bremen zurück und sagt selbst, sie wäre aufgeregter, als vor dem Hinflug. Wie wird sich Deutschland in ihren Augen verändert haben? 
Ich habe heute den Kommentar einer in der Türkei lebenden Deutschen gelesen: Neben der Türkei wirke Deutschland wie ein aufgeräumtes Altersheim. Ich fürchte, sie hat damit nicht ganz unrecht.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Kleine Momente

Ein Tager voller kleiner Momente.

In der Schule kam Burak in meine Stunde, um mich darauf hinzuweisen, dass einige Kinder in der nächsten Woche einen Test schreiben und deshalb nicht kommen würden. Aber ich konnte grinsend erwidern: "Ich weiß, das haben mir die Kinder schon erzählt" - und zwar auf Türkisch! (Und ich habe es verstanden)

Zwischendrin verteilte ich die Weihnachtssüßigkeiten aus meinem Fresspaket an meine Kollegen - und alle waren ganz begeistert von den Leckereien!

In der Abendschule bekamen die russischen Mädchen einen Lachanfall, als wir über komische Türkische Wörter sprachen, die Wörter in den eigenen Sprache ähneln. Scheinbar ähnelt das Türkische Wort für Charakter einem üblen russischen Schimpfwort. Allerdings - nachvollziehen konnte das minutenlange schallende Lachen niemand so recht.
"Birne" heißt im türkischen übrigens "armut". Und auch andere Wörter locken mir ein Lächeln auf die Lippen, wenn offensichtlich ist, dass ehemals ausländische Begriffe eingetürkscht wurden: Das englische "actor" (Schauspieler) wird zu "aktör", aber genauso ausgesprochen wie sein englisches Pendant. Und Fernbediehnung heißt auf türkisch "kumanda" - ausgesprochen wie in "Commander Kirk".

In der Sprachschule habe ich beim Toilettengang ein Mädchen fragen hören, wie das Licht angeht, wohl mehr zu sich selbst - aber auf deutsch! Daraufhin habe ich sie in eine Gespräch verwickelt, glücklich doch noch Deutsch sprechen zu können. Und die Gelegenheit habe ich gleich so ausgiebig genutzt, dass Emine mich an den Ohren in den Klassenraum zurück schleifen musste, weil die Pause längst vorbei war. 

Auf dem Rückweg bin ich spontan mit einem Türken ins Gespräch gekommen, der seit einer Woche Englisch lernt. Wir hatten sogar so etwas wie eine Unterhaltung. Langsam aber sicher vestehen die Menschen um mich herum meine Wortfetzen immer besser. Mit der Haushälterin hatte ich am Frühstückstisch ebenfalls eine Unterhaltung - sie hat mir von ihrem Bruder in Australien erzählt.

Aber es gab auch andere Momente, Momente, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Manchmal tritt die Armut in dieser Stadt mit einer unverhohlenen Deutlichkeit in mein Bewusstsein: Wenn Männer in der Bahn versuchen, billigen Krimskrams, wie Taschenlampen oder Pflaster zu verkaufen. Das selbe Bild auf den Straßen, wo Verkäufer auf Decken ihre Waren ausbreiten: Uhren, Socken, Tücher, Plastikspielzeug. Einige verkaufen Taschentücher und erbetteln sich dadurch ein wenig Geld, andere haben eine Waage auf den Fußgängerweg gestellt und für ein bisschen Kleingeld darf man sich darauf stellen. Von diesen Menschen sieht man viele und nicht immer kann ich an ihnen vorbeisehen.



Mittwoch, 14. Dezember 2011

Künstliches Eis

Heute stand mit der Schule ein Zoobesuch auf dem Plan. Um den Bus rechtzeitig zu bekommen quälte ich mich im Dunkeln aus dem Haus - nur damit mir dann in der Schule gesagt wurde, dass unser Fahrer einen Unfall gebaut hatte und deswegen ein anderer kommen würde. Allerdings: Es war das erste Mal, dass mir von einem Unfall berichtet wurde. Bei der Fahrweise finde ich das durchaus erstaunlich. Eine halbe Stunde später fand ich mich dann aber in einem uralten Peugot-Bus wieder, dessen dröhnender Motor bei jedem Gasgeben mühelos das Radio übertöhnte.
Im Zoo wurde ich dann gemeinsam mit den Kindern in einen dunklen, kalten Raum geschleust, wo ein Zoomitarbeiter einen langatmigen Votrag über Umweltverschmutzung und seltene Pflanzen hielt - jedenfalls glaube ich das, denn ich habe natürlich kein Wort verstanden. Eine weitere Mitarbeiterin führte uns anschließend im Laufschritt durch den Zoo. Er war nicht klein, auffällig war jedoch, dass die Tiere mitunter erstaunlich kleine Gehege hatten. Ich rannte hinter den enthusiatischen Kindern hinterher, die an jedem Gehege massenweise Fotos mit ihren Handys schossen. Ein Highlight war dabei sicher das Aquarium, dass sich als Ansammlung der hässlichsten Fische weltweit entpuppte. Etwas später durften die Kinder auf dem Spielplatz spielen und die "Eislaufbahn" ausprobieren. Überwältigt von einer plötzlichen Welle Weihnachtssehnsucht ließ ich mich überreden, mir ebenfalls Schlittschuhe anzuziehen und mit den Kinder auf die Bahn zu gehen. Kurz bevor ich das "Eis" betrat betonte ich natürlich noch einmal selbstbewusst, wie gut ich fahren könnte - nur um ich dann bei der ersten Berührung mit dem künstlichen Eis direkt auf die Nase zu legen. Das "Eis" stellte sich als Plastikschicht heraus, die es unmöglicht machte, irgendwie einen sicheren Halt auf den billigen Schlittschuhen zu bekommen. Hilflos klammerte ich mich an der Bande fest - den Kindern erging es übrigens nicht anders. Eine wenige versuchten mit Schwung über die Bahn zu fegen und fielen samt und sondern auf das Kunsteis.
Alles zusammen war es aber doch ein gelungener Ausflug - zumal ich meine türkisch (Tier-)Vokabeln live erproben konnte. Die Technik ist ganz einfach: Spreche ich ein Wort aus und mein Gegenüber beginnt heftig zu nicken, dann war das Wort richtig. Ernte ich verwirrte Blicke (kommt leider öfter vor), dann war das Wort, der Kontext, meine Aussprache oder alles zusammen falsch und ich stottere so lange vor mich hin, bis ich das Gefühl habe, mein Gegenüber hat eine ungefähre Ahnung davon, was ich ihm eigentlich mitteilen wollte.

Nach einer wirklich langen Reise (mehr als fünf Wochen) ist heute das Paket angekommen, das meine Mutter mir als erstes geschickt hat: Erste Rationen Filterkaffee, Weihnachtsschokolade - und ein kleiner blinkender Plastiktannenbaum, den ich gemeinsam mit meinem kleinen Gastbruder aufgebaut und mit Plastikkugeln geschmückt habe. Nun steht er auf dem Wohnzimmertisch, blinkt fröhlich in bunten Farben und bringt ein bisschen Weihnachtsstimmung ind das ansonsten weihnachtslose Istanbul. Am Wochenende habe ich gemeinsam mit Nina den bayrischen Weihnachtssender gehört, der altbekannte Weihnachtsklassiker in Dauerschleife spielt. Was soll ich sagen - es fühlte sich an, als würde man die Lieder mitten im Frühling spielen... Dieses Jahr fällt Weihnachten für mich einfach aus - und hier in Istanbul merke ich es nicht einmal. Nur hin und wieder wird mir bewusst, dass in nicht einmal zwei Wochen Heilig Abend ist: Wenn ich bei Starbucks einen Pappbecher mit Rentierdruck bekomme oder an einem Schaufenster vorbeilaufe, aus dem mich ein Plastiktannenbaum oder ein hässlicher, singender Weihnachtsmann entgegenlächelt. Letzeres kommt allerdings sehr selten vor.

Montag, 12. Dezember 2011

40 Jahre Freundschaft

Wieder ein verrückter, langer Tag in Istanbul. Ich hab meinen freien Tag genutzt um ein Hotel für meine Mama und Oma zu suchen. Wieder eine halbe Weltreise, um auf die andere Seite des großen Flusses zu kommen: Per Zug, Fähre und schließlich per Straßenbahn bis ins Herz von  Istanbuls Touristenviertel um die blaue Moschee und die Hagia Sofia. Das passende Hotel war schnell gefunden, denn die Rezeptionisten waren ausnahmweise ausnahmslos der Englischen Sprache mächtig, was die Konversation erleichterte und mir ein Gespräch mit Händen und Füßen ersparte (Wie in Tabu: "Erklären Sie das Wort/die Phrase Fahrstuhl/sauberer Raum/Dusche vorhanden pantomimisch."). Anschließend gönnte ich mir sehr touristisches Mittagessen in einem überteuerten pseudo-orientalischen Restaurant, wo ich bei türkischer Musik versuchte, eine Liste für meine Weihnachtsgeschenke zu schreiben. Aussichtlos. Weihnachtsstimmung? Gleich null.
Nach meiner Mittagspause ließ ich mir die Sonne ins Gesicht scheinen (Ja, liebe Leute daheim in Deutschland - Wetter heute: 15°C und Sonnenschein) und hatte plötzlich Lust auf Gesellschaft. Und während ich noch die klugen Worte von Nina im Ohr hatte ("Man ist nicht allein, wenn man es nicht möchte."), sprach mich ein Mann (Serkan) an, der mich auf einen Cay in seinen Laden einladen wollte. Das sei nämlich türkische Tradition, erklärte er mir weiter. Laut einer Redensart sichert ein gemeinsames Cay-Trinken einem eine 40jährige Freundschaft. Wie kann man so ein Angebot ablehnen? Kurz darauf fand ich mich also auf einem niedrigen Stuhl sitzend vor dem Juweliergeschäft des Mannes wieder, wo wir gemeinsam mit seinem Bruder Cay tranken. Der Bruder wurde übrigens in Deutschland geboren und sprach fließend deutsch. Und weil in den Wintermonaten wenig Touristen in Sultanahmet sind und damit wenig Arbeit, kamen nach und nach die Ladenbesitzer aus der Umgebung vorbei, blieben, tranken Cay, redeten und lachten. Die meisten konnten Deutsch, alle sprachen ein gutes Englisch. Also blieb ich auf einen weiteren Cay und noch einen - am Ende fast zwei Stunden. Nebenbei wurde von ihnen in die Wortvielfalt des türkischen Fluchens eingeführt und es stellte sich heraus, dass Fluchen in Deutschland eine hoffnungslos unterentwickelte Kunstform darstellt. Tatsächlich haben die Männer lachend alle gängigen deutschen Schimpfwöret aufgezählt und bemängelt, wie brav sie neben den türkischen Ausdrücken wirken. Auf eine Aufzählung möchte ich an dieser Stelle allerdings verzichten.
Serkan half mir dann noch bei meinen Einkäufen und brachte mich zu einem weiteren seiner Brüder, der mir einen teueren, handgemacht Teppich aufschwatzen wollte. Das muss man den Türken lassen: Verkaufen können sie!
Alleine blieb ich dann auch auf der Fähre nicht. Während ich mir Notizen für diesen Blog machte (eingetaucht in das orangene Licht der Abendsonne, während die Fähre sanft auf den Wellen des Bosporus schaukelt und die das kreischen der Möwen im Ohr habe), sprachen mich vier Jungen auf den Nebenbänken an und wollten wir weißmachen, einer von ihnen wäre ein berühmter Schauspieler. Meine Nachfrage, welcher Film es denn sei überrumpelte ihn so sehr (was für eine unvorhersehbare Frage!), dass er sofort zugab, zu lügen. Ich verbrachte die Fährfahrt damit, ihn gemeinsam mit seinen Freunden aufzuziehen - "Ich bin so glücklich! Endlich treffe ich einen wirklichen Filmstar!"

Nebenbei: Schocken würde es mich nicht mehr. Alper Kul (Ebrus Bruder) kommt diese Woche mit einem Comedy-Film in die Kino. In jeder Zeitung auf dem Wohnzimmertisch findet man ein Foto von ihm - sogar schicke schwarz-weiß Fotografien in einer der Frauenzeitschriften...

Impressionen von meinem Tag:
 





Boot in Eminönü. Hier kann man die berühmten Fischbrötchen mit Fisch aus dem Bosporus kaufen. Ich fands sie allerdings nicht so toll...



 

Samstag, 10. Dezember 2011

Sprechen lernen

Am letzten Montag habe ich meinen Sprachkurs begonnen. Das heißt: In den nächsten zwei Monaten werde ich  im Anschluss an meinen Unterricht selbst zur Schülerin und gehe drei Mal die Woche für drei Stunden in den Anfängerkurs für Türkischwillige im TÖMER. Mein insgeheimer Wunsch, dort vielleicht jemand Deutschen zu finden, mit dem ich mich in meiner Muttersprache austauschen kann, wurde nicht erfüllt: Es gibt vier Russinnen, drei Sri Lanker, zwei Amerikaner, einen Engländer - und mich.
Lustigerweise habe ich mich in den Unterrichtsmethoden unserer netten jungen Lehrerin Emine wiedererkannt: Mit freundlichem Drängen aus den Schülern herausquetschen, was du ihnen Sekunden zuvor erst beigebracht hast. Und die Phrasen, die sie benutzt (Jetzt!/ Wiederhole!/ Wer weiß es?/ 10 Minuten Pause) sind exakt die gleichen, die ich auch verwende. 
Bisher ist der Unterricht noch sehr leicht, denn wir wiederholen, was ich schon kann: Mich vorstellen, Nummern, kurze Gespräche. Emine drillt uns allerdings mit einer gewissen sardistischen Freude: Sie bekommt immer so ein fieses kleines Grinsen, wenn sie überlegt, wenn sie als nächstes dran nimmt. Ich entpuppe mich dabei als kleine Streberin, die insgeheim mehr Hausaufgaben fordern möchte - einfach damit ich die Sprache schneller lerne. Immer wenn meine Schüler auf mich zugestürmt kommen und ich kein Wort verstehe, packt mich die Ungeduld: Wie lange kann es denn dauern, einfache Sätze zu verstehen?
Ob ich für den Kurs bezahlen muss, stellt sich in der nächsten Woche heraus, denn das Kadiköy Belediyesi (in Persona: meine alte Gastmutter), hat einen Antrag gestellt, mich von den Kosten zu befreien. Die Nachfrage, ob der Antrag genehmigt wurde, stellte sich dann aber wieder als unerwartet kompliziert heraus: In der Sprachschule konnte keine der Sekretärinnen Englisch. In einer Sprachschule! Es wird halt nie langweilig....

Dienstag, 6. Dezember 2011

Erasmusluft

Am letzten Wochenende habe ich Erasmusluft geschnuppert. Realtiv spontan hat Andrea mich zu dem Trip nach Troy-Çanakkale(Gallipoli)-Edirne eingeladen. Ein Kurztrip per Reisebus mit einer Übernachtung, wenig Schlaf und viel Feiern. 
Unser Trip startete denkbar nervenaufreibend: Da wir nachts um 1 Uhr losfuhren, beschlossen wir den Antritt unserer Reise bereits mit einigen Bierchen zu beginnen und trafen und bei den "Lieblingsnachbarn" von Andrea. Von dort nahmen wir das Taxi zur Technischen Universität, die in der Nähe von Taksim und damit unweit von Andreas Wohnung liegt. Meine Sachen hatte ich in Andreas Koffer getan, der so sperrig war, dass wir ihn im Kofferraum des Taxis verstauten. Mitten auf dem Taksim-Square passierte es: Elody ging es plötzlich nicht mehr gut und wir verließen eilig das Taxi. Erst einige Minuten später wurde uns dann siedendheiß klar: Im Kofferraum des Taxis lag noch immer unser Koffer. Und: Mitten auf dem Taksim-Square stehen um die fünfzig knallgelbe Taxis - unmöglich also das richtige unter ihnen zu finden. Während wir aber dennoch umher irrten, in der Hoffnung, der Taxifahrer würde uns finden, sagte ein Blick auf die Uhr: 12.50. Noch zehn Minuten bis zur Abfahrt des Busses. Der perfekte Moment, um in Panik zu verfallen. Glücklicherweise löste sich die Situation dann doch auf: Der Taxifahrer brachte uns grinsend den Koffer zurück und wir verfrachteten Elody ins nächste Taxi und kamen gerade noch rechtzeitig am Bus an.
Am Samstag stand zunächst Sightseeig an den Orten an, für die Türken eine große Vorliebe haben: Kriegsschauplätze. Wir besichtigten die Orte, an denen verschiedene Schlachten stattgefunden hatten, die für die Gründung der Republik von entscheidener Bedeutung waren. Zu sehen waren dort allerdings nur große Plastiken, nebst Wald und Meer bei strahlendem Wetter.
 








Anschließend besichtigten wir die Ausgrabungsstätte von Troja und kletterten Schichtweise in das große Holzpferd. Der Film Troja aus dem Jahr 2005 (den unser Führer ziemlich eindeutig als "Trash" titulierte) entpuppte sich als beste Werbung für die Ausgarbungsstätte und sorgte dafür, dass sich die Besucherzahlen auf mehrere Millionen jährlich steigerten. Zu sehen waren natürlich nur Ruinen und Steine, sodass sich das Aussehen der Stadt vor mehr als zweitausend Jahren nur erahnen ließ. Sollte die Sage um das legendäre Holzpferd tatsächlich so stattgefunden haben, dann wurde das überdimensionale Spielzeug wohl über diese Rampe in die Stadt gefahren:



Am Samstagabend statteten wir der örtlichen Disko einen Besuch ab. Ein guter Abend bei elektronischer Musik, gekrönt von der obligatorischen Schlägerei, die dazu führte, dass die Italiener unserer internationalen Truppe die Nacht auf dem Polizeirevier verbrachten - und unsere Abfahrt sich erheblich verzögerte.




 Weiter ging es dann erneut in ein Militärmuseum, in dem uns übermüdeten Frühheimkehrern Filme gezeigt wurden, die in Kleinstschritten über die Seeschlacht der türkischen Armee im Krieg 1915 informierten. Wir begnügten uns schließlich damit, Lachanfall geplagt die ausgestellten Kanonen abzufotografieren - und die herrliche Seeluft zu genießen.



Später am Abend besuchten wir die Selimiye-Moschee in Edirne und konnten das Abendgebet miterleben. Andächtig standen wir hinter der Absperrung und beobachteten die Männer, die erst still verharrten und sich dann in ihrem ganz eigenen Rhytmus verneigten. 



Nach Abendbrot (Köfte plus pure Zwiebeln) und Bier im Irish Pub traten wir die Heimfahrt an, die dank Geburtstag eines Griechen in einer Busparty endete. Dabei stellte sich 1. heraus, dass an Raststätten am Highway in der Türkei kein Bier verkauft wird und 2. dass in der Provinz nur schlechte Radiosender aufzufinden sind, sodass sich das Bereitstellen von guter Partymusik erheblich erschwerte. Letzendlich tanzte sich die Studententruppe bei bereits erwähnter Fahrweise und schlechter Straßenverfassung durch die Nacht.
Erkenntnis auf dieser Fahrt: Erasmusstudenten wissen wie man feiert. Aber auch: Türken haben ein erhebliches Problem, was das Bereitstellen öffentlicher Toiletten betrifft: Sie sind rar, häufig ohne Klopapier, manchmal ohne Licht oder gar in ihrer asiatischen Ausführung - als Hockklo...

Mittwoch, 30. November 2011

Kleine Unterschiede

Ich bin nun einen Monat in der Türkei. Nachdem die ersten Tage noch in einem mäßigen Tempo vergingen, beginnt die Zeit allmählich zu rennen. Die Tage ziehen dahin, werden zu Wochen. Ich fürchte, die 140 Tage werden schneller vergehen, als ich erwartet hatte...
Zeit also von ein paar Kleinigkeiten zu berichten, die das Lebenin Istanbul so mit sich bringt..

Es gibt Momente, in denen ich einfach vergesse, dass ich in Istanbul bin, einfach weil es Orte in dieser Stadt gibt, die sich in keiner Weise von deutschen Innenstädten unterscheiden. Ich rede dabei nicht nur von den Innenräumen einschlägiger Fast Food-Ketten, deren Einrichtung rund um den Globus die Gleiche ist. In der U-Bahn beispielsweise lässt sich nicht unterscheiden, ob man sich gerade in Hamburg oder Istanbul befindet. Und wann immer ich gemeinsam mit meinen Gastfamilien deren Freunde besucht habe, ließen sich in deren Wohnungen Ikea-Möbel und Dekorationen wiederfinden, gleich wie in Deutschland. Dann aber wiederrum muss ich nur einen Blick auf die Straße hinauswerfen und die Unterschiede springen mir ins Auge. Auf Istanbuls Straßen ist es laut und immer sind viele Menschen, meist zu viele Menschen unterwegs. Deutschland wirkt dagegen aufgeräumt, beinahe steril. Türkische Geschäfte sparen auch nicht an großformatigen Werbeschildern. Die Innenstädte sind gesprenkelt von all den Plakaten und Schildern, Bussen, Taxis und Passanten.
Seinen Weg zu finden bedeutet auch immer: Irgendwie über eine vielbefahrene Straße zu rennen, während die Ampel den Dienst verweigert und die Autos nicht langsamer werden. Es bedeutet, sich an Passanten vorbeizuquetschen und auf einem Fußgängerweg voller Stolperfallen die Augen offen zu halten. Es bedeutet, an jeder Straßenecke einen anderen Duft in der Nase zu haben, weil immer irgendwo Esskastanien gebraten, Poppcorn gemacht oder Simit verkauft wird - und wenn nicht, dann weht einem der Duft aus dem nächsten Straßenlokal in die Nase.

Jeden Tag schallt der Ruf des Muezzins über die Hausdächer der Stadt. Egal wo in der Stadt man sich gerade befindet, immer ist eine Moschee nahe genug, um seinen Ruf zu hören. Wenn man sich gerade wundert, ihn heute noch gar nicht gehört zu haben - hallt schon sein Gesang von den Hauswänden wieder. Überhaupt Musik: Eine Weile habe ich bei offenem Fenster immer wieder eine Melodie hören können, die mich auf befremdliche Weise an das Thema der Harry Potter-Reihe erinnert hat. Es hat eine Weile gedauert, bis mir aufging, dass es sich um die Pausenglocke der naheliegenden Schule handelt. Statt eines monotönen Bimmels werden die Schulkinder von einer nettem Melodie an das Ende der Pause erinnert. Ähnliches lässt sich beim Metrobus beobachten: Wenn die Türen schließen, dann nicht mit einem Piepen, sondern begleitet von Beethovens "Für Elise" - nur in doppelter Geschwindigkeit.
Ich habe heute ein sehr interessantes Format mit Geschichten rund um Istanbul entdeckt. Orient Express heißt die Sendung. Unbedingt mal reinschauen!
http://www.tagesschau.de/videoblog/orient_express/index.html


Mehr kleine Dinge berichte ich morgen!

Dienstag, 29. November 2011

Danke Omi!


Nach den sehr traumhaften letzten vier Wochen habe ich mit böser Vorahnung auf den Tag gewartet, der mir meinen ersten Nervenzusammenbruch beschert. Ein typischer „Wär ich doch im Bett geblieben“-Tag, nur eben auf Türkisch. Ich kann behaupten: Dieser Tag war heute. Und er hat mit allem aufgewartet, worauf man lieber verzichten möchte.
Der Überfülltheitsgrad des 8:02 Uhr-Zugs erinnerte an Tokioter-Verhältnisse – eine Stadt, deren Bahnen typischerweise so überfüllt sind, dass Menschen dafür bezahlt werden, die Insassen in die Bahnen zu quetschen. Habe mich mehr denn je wie eine Sardine in der Dose gefühlt.
In der Schule wartete bereits die Fotografin der Kadiköy Gazette auf mich, die mich an einem denkbar ungünstigen Moment erwischte und eine Reihe unvorteilhafter Bilder geknipst haben dürfte. Es folgten zwei anstrengende Unterrichtsstunden mit aufgredrehten Kindern – zum ersten Mal ohne Burak als Übersetzer, was die Kinder dazu ermunterte, zu tun, als wüssten sie nicht, was ich von ihnen verlange, selbst wenn ich es in geraden Sätzen ausdrücken konnte. Schlussendlich liefen alle wild durcheinander, während ich versuchte ihnen die englischen Ausdrücke für allerlei verschiedene Früchtchen beizubringen.
Nach der letzten Stunde schließlich stattete ich den lieben Vodafone Mitarbeitern einen weiteren Besuch ab. Sie erkannten mich tatsächlich wieder. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb der einzige Mitarbeiter, der einigermaßen in der Lage war, Englisch zu sprechen, fluchtartig in den Pausenraum flüchtete, anstatt mir bei der Klärung meines Problems zu helfen. Ganz nach dem Motto: „Die verrückte Deutsche ist wieder da – Ich mach mal Pause!“ Eine Stunde mühsamen Übersetzens später war dann klar: Mein deutsches Handy bleibt weiterhin ungenutzt. Da Hidir meine türkische SIM-Card auf seinen Namen gekauft hat, kann ich mein Handy nur registrieren, wenn ich eine weitere SIM-Card auf meinen Namen kaufe. Diese Frage hatte ich übrigens genauso schon einige Male gestellt – und gegenteilige Antworten bekommen.
Genau der richtige Tag also für eine Extraportion Nervenfutter, sprich: Schokolade. Als hätte sie es geahnt, traf heute das verfrühte Weihnachtspaket meiner Großmutter ein (Danke Omi!). Gut verpackt befanden sich darin Weihnachtssüßkram und Kaffee. Aber wie das an solchen Tagen eben ist: Selbst gut gemeinte Dinge gehen daneben. Und auf die Deutsche Post ist sowieso kein Verlass. Statt eine gut erhaltene Dosen Kaffee auszupacken, rieselte das süße Pulver beim Öffnen in dicken Rinnsalen aus dem Päckchen und blieb überall kleben: Auf der Couch, auf dem Boden, an mir. Wer also in Zukunft plant, mir ein Päckchen in die Türkei zu schicken, der nehme bitte Abstand von Dosen mit Kaffeepulver. Ansonsten werde ich mir bald eine neue Gastfamilie suchen oder die Couch ersetzen müssen – oder beides ;)

Montag, 28. November 2011

Ich warte - ALLEIN!

Nun also auch die Zeitung. Nach meinem spektakulären Fernsehauftritt soll nun auch ein Bericht in der Kadiköy Gazette über meinen Freiwilligendienst erscheinen. Während ich diese Zeilen schreibe, grübel ich über die Antworten nach, die mir per Mail zugestellt wurden. Einige sind einfach ("Wie alt bist du?"), bei anderen müsste ich länger ausholen ("Vergleiche Türken in Deutschland mit Türken in der Türkei. Welche Unterschiede hast du bisher festgestellt?"). Diesmal wird es immerhin eine Blamage mit Ansage: Der Fotograf soll mich beim Unterrichten ablichten. Da ich immer wie eine Verrückte zwischen den Tischreihen herumspringe und Quizmaster spiele, kann ich das abgedruckte Foto bereits vor mir sehen. Schlagzeile: "Verrückte Deutsche wird auf Kinder losgelassen. Arbeitet immerhin umsonst."

Ich habe heute Kadiköy erkundet. Der eigentliche Plan war, dem Vodafone Shop einen Besuch abzustatten, um dort mein Handy registrieren zu lassen. Dort wurde mir allerdings mitgeteilt, dass ich meinen Reisepass bräuchte und eine Registrierung mit dem Perso nicht möglich sei. Darafhin strengte ich ungefähr eine halbe Stunde lang eine Diskussion mit herrlich entnervten Mitarbeitern an (lustig: Aufgrund mangelnder Englisch-/ Türkischkenntnisse mittels Google Translater auf dem Mitarbeitercomputer), in der Hoffnung, ich würde sie so sehr nerven, dass sie mir meinen Wunsch gewären und die Registrierung vornehmen. Aber egal wie oft ich den netten Menschen in rot-weiß erklärte, dass ich sogar mit meinem Perso eingereist war ("Wenn das geht, wieso dann keine dämliche Regsitrierung?") - sie blieben hart und mein ungeliebtes uralt-Handy weiter in Gebrauch. 
Anschließend ließ ich mich durch die Stadt treiben, ging die Straßen entlang, die mir am interessantesten erschienen, blieb stehen, sah mich um, trödelte durch Geschäfte und aß Simit im Gehen. Hier und da erledigte ich Besorgungen, dann streunerte ich umher, bis ich nicht mehr wusste, wo ich war. Angelockt von der Weihnachtswerbung eines Tschibo-Shops (laut Arife sehr beliebt bei allen Türken), kehrte ich zum Filterkaffeetrinken ein und machte den Verkäufer durch meine Bestellung und die Tatsache, dass ich eine Deutsche bin, so nervös, dass er den kostbaren Filterkaffee über das ganze Tablett verschüttete. Irgendwann landete ich dann am Ufer des Bosparus und meine Stadttour wurde mit einer frischen Meeresbrise und einem strahlend blauen Himmel belohnt. Ich war unübertrieben in Hochstimmung - bis sich ein Türke Mitte 50 neben mich setzte und versuchte, mich auf eine Tasse Cay zu überreden ("Cok güzel - du bist so hübsch!"). Hatte immerhin den Vorteil, dass ich wieder eine neue Vokabel lernte: Ich warte auf eine Freundin. "Yalnız"- ALLEIN!



Impressionen





Stadtbild in Kadiköy


Mittagspause
Gut erkennbar: Die Menschenmasse auf den Straßen, der dichte Busverkehr. Das Ausmaß des ganzes Gewusels kann man aber nur erahnen...

Durch Zufall gefunden: Eine Straße mit niedlichen kleinen Künstlerhäusern, in denen Bilder, Holz-, Näh- und Glasarbeiten sowie handgemachter Schmuck verkauft werden. Wenn man vorbeigeht, kann man durch die Fensterscheiben beim Künstlern zugucken.










Typischer kleiner Kiosk/ Lebensmittelladen wie man ihn fast überall finden kann.


Samstag, 26. November 2011

Lieblingsnachbarn

Auf einmal stand da auf der anderen Seite der Straße Andrea. Nicht wirklich überraschend, denn wir waren verabredet - aber doch ein wenig surreal. Zuletzt hatten wir uns in Bremen gesehen, nun plötzlich wieder in der überfüllten Straße in Osmanbey. Andrea in Istanbul - ein Stück Heimat in der Fremde. Sie macht ein Auslandssemester in Istanbul, ist schon seit fast drei Moanten dort. Nach drei Wochen haben wir es zwischen Univorbereitungen und Freiwilligendienst endlich geschafft, uns zu treffen. Als Erasmusstudentin führt sie ein anderes Leben in der Großstadt - WG statt Gastfamilie, Uni statt Englischunterricht. 
Gemeinsam mit ihren "Lieblingsnachbarn" aus der Etage drunter, zwei Deutsche und zwei Franzosen, haben wir Glühwein getrunken, während die Unterhaltungen in drei Sprachen durch die Luft wabberten. Anschließend fuhren wir weiter nach Taksim und tanzten uns auf einer Erasmusparty durch die Nacht. Eine schöne Abwechslung nach den letzten (partyarmen) Wochen. Dabei habe ich auch gleich eine Schnelleinführung in das Leben von Erasmusstudenten bekommen. Wie leicht und unspektakulär hier verschiedene Nationen zusammenkommen. Die Kommunikation ist via Englisch kein Problem. Mit großem Interesse wird als erstes gefragt - Woher kommst du? Spätestens auf der Tanzfläche sind die Nationen dann aber egal, weil ohnehin alle das gleich wollen: Tanzen und Spaß haben.

Mein Fernsehauftritt ist online zu bewundern. Wie beschrieben lässt sich an meinem Gesicht wunderbar die Verwandlung von rot zu sehr rot beobachten, während ich meine denkwürdigen Worte ins Mikrofon stottere. Viel Spaß damit: http://www.canlidizitr.com/5er-beser-9-bolum-izle-25-kasim-2011.html/4

Donnerstag, 24. November 2011

Hepiy ticir

Heute ist in der Türkei der "Öğretmenler Günü" - der Tag der Leher. An diesem Tag wird den Lehern für ihre Arbeit gedankt. Sich ausgedacht und eingeführt hat das Ganze natürlich wieder Atatürk. Es ist üblich, seinem Lehrer kleine (selbstgebastelte) Geschenke und Blumen zu überreichen. Im Voraus hatte ich die leise Befürchtung, meine ohnehin schon von mir begeisterten Kinder würden mich heute überhaupt nicht in Ruhe lassen. Glücklichweise war die berüchtigte (wie ich sie insgeheim beziffere) Stalker-Klasse - 4B - nicht anwesend. Am Dienstag hatten mich die Kinder bis auf die Toilette verfolgt und versucht mich mit penetrantem Blinzeln und strahlenden braunen Augen zu einem Unterschriftenmarathon zu nötigen. Ich habe einige Zettel mit Liebeserklärungen und Zeichnungen geschenkt bekommen und das Bild rechts mit der schönen Widmung "Hepiy ticir" - "Happy teacher (day)". Außerdem ein Gedicht zum Lehrertag: "A little boy" by Helen Buckley.


Allen einen fröhlichen Lehrertag ;)


Mittwoch, 23. November 2011

Esskultur ade!

Ich bekommen Routine. Darin, mir in einem überfüllten Zugabteil ein Stückchen Raum zu erkämpfen, das mir erlaubt aufrecht zu stehen und dabei nicht eine Vielzahl unterschiedlicher und durchaus unschöner Düfte in der Nase zu haben. Darin rechtzeitig auszusteigen, ohne die Schilder erkennen zu können, die so angebracht sind, dass man sie aus dem Zug heraus kaum entziffern kann (Mein Trick: Aus einem unerfindlichen Grund fällt direkt vor meiner Station immer das Innenlicht im Zug aus. Sobald ich im Dunkeln stehe weiß ich: Aha, jetzt muss ich raus). Darin, den Kinder Englisch beizubringen und zu diesem Zweck nur ein begrenztes Sammerlsorium aus Phrasen beisammen zu haben: Setzt euch hin! Seid ruhig! Wer weiß das? Seid ihr fertig? Darin, die Computertafel zu bedienen, die in regelmäßigen Abständen den Geist aufgibt oder sich gegen meinen Willen selbtsständig macht. Daran in einer unübersichtlichen Stadt zu leben, in der man niemals wirklich allein ist. Ich habe mich an das türkische Essen gewöhnt, daran keinen Filterkaffee zu trinken (Aber nur so halb. Mal ehrlich - Istantkaffee? Istantkaffee?? Warum?). Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich das schnulzige Fernsehprogramm (darüber muss und werde ich mich in einem späteren Blogeintrag auslassen) nicht verstehe und dass ein Großteil der Gespräche um mich herum nicht mehr sind, als ein aufgeregtes Summen. Tatsächlich bin ich so daran gewöhnt, dass sich alle um mich herum unterhalten, ohne dass ich etwas verstehen kann, dass mich mein Besuch in der Marmara Universität heute völlig aus der Bahn geworfen hat. Ich habe Feyyaz besucht, den Sprachpartner von Marie, die ein Jahr in Istanbul gelebt hat. Bei meinem Besuch im Mai hat er uns die Stadt gezeigt. Er studiert auf Deutsch und dass er meine Sprache lernt, wusste ich natürlich schon vor meinem Besuch. Doch auf dem Weg zur Caféteria haben wir seine Freunde getroffen, die mich - als sei es die normalste Sache der Welt - sofort auf Deutsch angesprochen haben. Das sprechen sie nämlich alle - fließend. Einige, weil sie in Deutschland geboren sind, andere, weil sie Deutsch als Fremdsprache lernen. Es hat tatsächlich einen Moment gedauert, bist ich verarbeitet hatte, dass diese Menschen wirklich, richtig, wahrhaftig mit mir kommunzieren konnten und nicht bloß in Wortfetzen und halbrichtiger Englischgrammatik. Ich konnte es mir nicht verkneifen und habe ihr Lehrbuch durchgeblättert. Hat mal jemand darüber nachgedacht, wie schwer es wäre, Deutsch als Fremdsprache zu lernen? 
Beispiel Präpositionen: Türkisch kann so einfach sein! Es gibt nur die Endungen -e/ -a (zum, hin), -de/ -da (im...), und -den/dan (von... weg). Deutsch hingegen ist reich an Präpositionen, Bindewörtern und Unregelmäßigkeiten. Die Türkische Sprache kennt auch keine Artikel. Die deutsche Sprache beglückt gleich mit dreien an der Zahl, deren Zuordnung zu den jeweiligen Nomen vollkommen unverständlich ist. Das Mädchen? Der Schminkspiegel? Die Bohrmaschine?
Das Buch ist dennoch sehr lehrreich. Neben der Grammatik, führen Texte in die deutsche Kultur ein. Neben kleinen Texten über "Heini und Opa beim Angeln" und "Bikulturelle Ehen", lässt sich dort unter dem reißerischen Titel "Esskultur ade!" nachlesen, dass - tja, Deutsche keine Esskultur mehr besitzen. Es wird kaum noch gekocht, stattdessen werden Fertiggerichte gekauft. Mensch, Mensch. Kann den Türken nicht passieren - die besitzen mehr Esskultur als gut für die Figur ist... 

Nebenbei habe ich ein interessantes Gespräch über Türken in Deutschland geführt. Viele Türken reagieren ähnlich wie Deutsche auf meine Entscheidung in die Türkei zu gehen und Türkisch zu lernen, nämlich mit: "Wieso ausgerechnet die Türkei?"
Warum nicht? Ich fürchte leider, es gibt einen ganzen Haufen Missverständnisse zwischen Türken und Deutschen - auf beiden Seiten. Der Junge mit dem ich mich heute unterhalten habe, ist in Köln geboren, dort aufgewachsen, hat die deutsche Staatsbürgerschaft inne. Nach seinem Studium will er in Deutschland leben. Und dennoch weiß er Geschichten zu erzählen, von der Art und Weise, wie ihm in Deutschland Unrecht getan worden ist. Aber er sagt zu mir: Türken haben sich in Deutschland nicht richtig verhalten. Deswegen ist das Verhältnis so angespannt. Eine verworrene Situation. 
Deutschtürken haben in der Türkei übrigens ebenfalls einen Ruf weg. In einer Comedysendung wurde in einem Sketch der typische Deutschtürke folgendermaßen parodisiert: Extrem weite Hose, XXL-Shirt, Cappi in der Stirn und dicke Goldkette um den Hals. Auch Hidir fragte mich in einem Gespräch: "Warum laufen Deutschtürken eigentlich alle wie Gangster rum?"

Montag, 21. November 2011

Willst du Bohnen?

Das erste Wochenende mit meiner neuen Gastfamilie ist zu Ende. Heute bin ich bereits seit einer Woche in meinem neuen Zuhause und gewöhne mich allmählich an das Haus und seine Bewohner. Insbesondere meinen kleinen Bruder Alp Yagis – das Baby – habe ich ins Herz geschlossen. Den Samstagnachmittag haben wir damit verbracht, sämtliche seiner Spielsachen im Haus zu verteilen und komische Grimassen zu schneiden. Schwierig zu sagen, wer von uns beiden alberner ist. Glücklicherweise verstehen wir uns ohne Worte – Quietschlaute und Handbewegungen reichen für unsere tiefgehenden Gespräche.
Am Samstagabend waren wir bowlen. Ein interessanter Kulturmischmasch – „Seaside Bowling“ (weil in direkter Nähe zum Mittelmeer) in Istanbul. Diese Mischung zieht sich durch die ganze Stadt: Große Supermärkte neben kleinen Gemüse- und Obstständen, traditionelle türkische Küche neben McDonalds & Co. Abends blickt man auf das nächtliche Lichtermeer der Riesenstadt, auf eine Ansammlung Wolkenkratzer und blickende Leuchtreklame, während der Gesang des Muezzins durch die Luft schallt, der die Gläubigen zum Gebet ruft. 
Im Bowlen jedenfalls habe ich mir meine aus Deutschland bekannte Form bewahrt – und haushoch gegen meine elfjährigen Gegner verloren. 

 


Seaside Bowling:
Der Junge ist mein Gastbruder Ata, das Mädchen rechts eine Klassenkameradin mit Freundin.







Am Sonntag waren wir zum Essen bei der Schwester meines Gastvaters und deren Familie. Es war das übliche Spiel: Mir wurden unzählige Köstlichkeiten der türkischen Küche auf den Teller gehäuft („Willst du Bohnen? – „Nein.“ – „Hier bitte.“) und mit Adlerblick überwacht, ob ich auch ja alles aufesse. Anschließend konstatierte Timurs Schwester leicht enttäuscht: „Du bist keine besonders gute Esserin.“ Ҫok ayip...

Kein Dreck da!

Montags hat meine Schule geschlossen - ich habe heute meinen freien Tag. Der ursprüngliche Plan war, einen ruhigen Nachmittag mit Türkisch lernen zu verbringen. Ich habe begonnen "Ali ile Aysecik" (Hänsel und Gretel) auf deutsch zu übersetzten - was allerdings sehr langsam vor sich geht. Der Übersetzungvorgang ließe sich mehr als "Oh da ist ein Wort, das ich kenne" denn als "Oh, das Wort kenne ich noch nicht" charaktisieren. Glücklicherweise kenne ich die Story schon, was die ganze Anglegenheit etwas vereinfacht. Die großformatigen Bildern tun ihr Übriges.
Von einem ruhigen Nachmittag lässt sich allerdings nicht sprechen: Eine der Haushälterinnen wuselt immer wieder die Treppe hoch und runter und saugt, putzt, wischt lautstark. Gerade platzte sie in mein Zimmer, um meinen (vollkommen dreckfreien) Fußboden zu putzen. Meine gestammelte Erklärung ("Kein Dreck da") wurde sang und klanglos übergangen. Ich fuhr mit dem Finger über den Fernseher um das nicht Vorhandensein von Staub zu demonstrieren - keine Chance. Also trollte ich mich in die Küche, holte Wasser und wartete bis mein Zimmer geputzt und nach Wischwasser duftend als bezugsfertig freigegeben wurde. Die andere Haushälterin hat den ganzen Morgen über gekocht, bis der Duft nach gefüllter Paprika drei Stochwerke hinauf bis in mein Zimmer gezogen war. All das ließe sich noch ausschließen - wäre da nicht auch noch der Gärtner, draußen dröhnend den Rasen meht und Bäume stutzt...

Freitag, 18. November 2011

Tetris spielen

Ein großer Teil meines Tages besteht in dem Versuch, möglichst ohne Irrungen von Punkt A zu Punkt B zu gelangen. Das bedeutet, den richtigen Bus, Minibus und Zug zu finden und dann auch irgendwie die richtige Haltestelle. Auch an meinem zweiten Tag habe ich mich verfahren, habe den falschen Bus genommen und bin zu früh ausgestiegen. So konnte ich in den Genuss meiner ersten alleinigen Fahrt mit einem Minibus kommen. Wenn sie nicht überfüllt sind, wohnt ihnen eine heimelige Atmosphäre inne. Ein wenig erinnert es an eine urige Fahrgemeinschaft. Sitzplätze gibt es für etwa 20 Menschen. Der Busfahrer ist Kassierer, Fahrer und Infoschalter in einem. Meinen 20-Lira-Schein wechselte er, indem er sich während der Fahrt sein Portemonnaie aus der Jackentasche zog, mit der anderen lenkte, dann die Arme tauschte und mit der rechten Hand mein Kleingeld aus kleinen Schälchen zusammensuchte. Und das im bereits beschriebenen Istanbuler Straßenverkehr. Das ist mal eine Nummer, mit der er sich bei „Das Supertalent“ bewerben sollte.
Durch meinen Umweg musste ich an der Marmara Universität entlang durch eine Wohngegend laufen. Mein Unvermögen, den richtigen Bus zu nehmen, führte dazu, dass ich den freitäglichen Wochenmarkt in der Mektep Straße erleben zu können: Kunstvoll gestapeltes Obst und Gemüse, Tücher, Kleider und Gewürze. Besonders schön war der Gedanke, dass ich im richtigen Istanbul angekommen war. Es war keine Szenerie, wie auf den Fotografien handelsüblicher Reisekataloge, sondern richtig echter Alltag.
Am Abend konnte ich im überfüllten Zug dann wieder die Schwarmbewegungen erkennen, die entstehen, wenn sich immer mehr Menschen in ein bereits überfülltes Gefährt drängen. Die Überlegungen gleichen einem Tetrisspiel: Wie weit kann ich meinen Fuß verlagern, ohne dass ich beim nächsten Fahrmanöver das Gleichgewicht verliere? Ich dachte vorher, dass ich niemals die Halteschlaufen im öffentlichen Nachverkehr benutzen würde. Sie sind für meine (kurzen) Arme zu weit oben angebracht und ohnehin von geringem Nutzen, denn man muss weiterhin kleine Kreise gehen, um nicht umzukippen. In meinem Abendzug habe ich keine andere Wahl mehr, denn Haltestangen sind in dem Gewühl schlicht unerreichbar. Ganz ungefährlich ist die Heimreise außerdem nicht – die Ellenbogen bedeutend längerer Arme schweben auf meiner Gesichtshöhe und nähern sich in Abständen bedrohlich meinem Gesichtsfeld.

Mein Türkisch wird allmählich etwas besser. Auf meiner Arbeit spricht nur Burak Englisch, so dass ich mit allen anderen schwierige Halbsatz-Wort-Gespräche führe. Ebenso mit den Kindern. Burak hat mir die Frage „Darf ich auf Toilette gehen?“ aufgeschrieben. Nachdem mich einige Kinder gefragt und ich sie nicht verstanden hatte, waren sie aus verständlichen Gründen dazu übergegangen, die Frage an Burak zu richten. Ich freue mich darauf, dass mein Türkisch gut genug ist, um den Leuten Fragen zu stellen. Es gibt so vieles, das mich interessieren würde. Noch mit meiner ersten Familie habe ich eine Dokumentation über türkische Immigranten in Deutschland gesehen. Aus dem Gespräch hat sich ein Gespräch mit meiner Gastmutter ergeben, dass ich gerne mit anderen Türken fortsetzen würde.
Damit mein Türkisch besser wird, hat mir Ata seine Lesebücher aus den ersten Schuljahren geliehen. Das türkische Pendant zu „Hänsel und Gretel“ ist übrigens „Ali und Aysecik“.