Meine Flugangst ist nicht groß, aber latent vorhanden und kommt zum Vorschein, wenn das Flugzeug startet, ruckelt, komische Geräusche macht und landet. Meine anfängliche Nervösität wurde durch die Tatsache, dass mich gleich in Bremen ein Beamter zur Seite gezogen hat, nicht erleichtert. Er hat meinen Rucksack nach Spuren von Sprengstoff untersucht und dazu ein Wattebausch über die Außenseite meines Handgepäcks gezogen. Auf meine Frage: "Schaffe ich meinen Flug denn noch?" reagierte er knapp und kühl mit: "Dann müssen Sie halt früher komme, Sicherheit geht vor." Zu meiner Verteidigung: Das Boarding hatte um 17.50 Uhr begonnen, als der Beamte mich um 18 Uhr aus dem Verkehr zog um meinen Rucksack unter die Lupe zu nehmen. Er schob den Bausch in so etwas wie einen überdimensionalen Lügendetektor und ein weißen Papier erklärte mich und meinen Rucksack für unschuldig. Wie sich dann herausstellte, war ich der letzte Passagier, das ganze Flugzeug wartete auf mich und während mich das Bordpersonal mit einer Mischung aus Gelassenheit und gespielter Freundlichkeit erwartete, stolperte ich nervös durch die Reihen. Natürlich war mein Fensterplatz jetzt belegt und als ich mir einen anderen suchte, wies mich der Stuart (heißen männliche Stuardessen so?) daraufhin, dass ich am Notausgang sitzen würde, erklärte mir in schnellem Englisch die Funktion der Tür und fragte, ob es mir immer noch angenehm sei, hier zu sitzen. Mein zögerliches "Yes, I think so" akzeptierte er als Annahme dieser wichtigen Aufgabe.
Der Rest des Flugs verlief gut und ohne Zwischenfälle. Mein Taxifahrer war sehr nett, zeigte mir die nächtliche Blaue Moschee in Sultanahmet und brachte mich zu meinem Hotel. Kleines Zimmer: Ich brauchte nur die Tür zu öffnen um direkt ins Bett zu fallen.
Am Morgen überraschte mich im Frühstücksraum ein atemberaubender Blick über die Altstadt und den Bosporus. Ich konnte den Blick kaum abwenden. Anschließend wurde ich von Hidir abgeholt, der mich quer durch die Stadt nach Kadiköy fuhr, direkt zur Townhall, der Residenz des Bürgermeisters von Kadiköy, wo meine Gastmutter die Wochenzeitung von Kadiköy produziert. Sie war nicht dort, also ging es direkt weiter zu meiner Arbeitsstelle. Dort wurde dann klar: Statt eine Englischlehrerin bei ihrer Arbeit zu unterstützen (eigentlicher Plan), würde ich die Englischlehrerin sein - schlicht weil es im Augenblick niemanden sonst gibt. Ich unterrichte 8 verschiedene Klassen, 4 Tage die Woche. Und noch spreche ich kein türkisch, was die Kommunikation mit den Schülern erschweren könnte. Und natürlich spricht von den anderen Lehrern niemand Englisch oder Deutsch oder überhaupt eine andere Sprache außer Türkisch.
Danach habe ich Arife, meine Gastmutter, kennengelernt. Wir sind Essen gewesen (cok güzel - sehr lecker) und dann hat sie mich durch die ganze Townhall geführt und etwa 30 Leuten gesagt: "Das ist sie! Sie ist da", weil sie schon seit Wochen auf mich gewartet hat und das auch alle Mitarbeiter wussten und ich musste dann über 30 Hände schütteln und mir gefühlte hundert Namen merken. Dann war ich mitten im Geschehen: Es wurden zwei Geburtstage gefeiert (wieder essen) und die Schwangerschaft der Chefin (mit einem türkischen Tanz mitten in ihrem Büro).
Noch ein Kommentar zu Van: Die Erdbebenkatastrophe wird hier deutlich sichtbar, denn die ganze Townhall ist gestappelt voll mit Hilfslieferungen, die von Freiwilligen verpackt werden. Morgen steht Kinderspielzeug auf dem Plan.
Anschließend habe ich Arifes Sohn und Mann kennengelernt und wieder - na? - gegessen. Dabei habe gleich den Ausdruck für Behaarlichkeit gelernt: "israr etmek" - Türken wollen dich immer zum Essen bringen und sind dabei äußerst behaarlich. Das türkische Pendant zu "Wenn du nicht aufisst, wird das Wetter morgen schlecht" ist: "Wenn du nicht aufisst, werde ich weinen". Meterologischer vs. emotionaler Druck. Musste dann auch Hidir versprechen, nicht zu viel zu essen- "because otherwhise you'll get fat".
Weitere Eindrücke und Erlebnisse aus der Stadt am Bosporus folgen bald!
Xenia, ich bin "very amused"! Ich mag deine Art zu schreiben sehr! Sehr lebendig, lustig und fesselnd. Weiter so!
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