Zehn Stunden, drei Familien, etwa dreißig neue Gesichter und jede Menge türkisches Essen - das ist die Bilanz des Tages. Zusammenfassend lässt sich sagen: Es ist definitiv möglich, einen familienlastigen Feiertag mit einem Wortschatz von kaum dreißig Vokabeln hinter sich zu bringen.
Zunächst haben wir die Familie von meiner Gastmutter Arife besucht. Dort wurde es dann schnell eng, denn Arifes drei Brüder und Schwester, samt Ehemännern/- frauen sammelten sich auf etwa 16 Quadratmetern. Gegessen wurde in Schichten. Beim Kennenlernen nahm mich Arifes Mutter gleich zwei Mal in den Arm und wollte mich gar nicht mehr loslassen. Sie war so glücklich, dass sie mich die ganze Zeit über anstrahlte und in Tränen ausbrach, weil sie dachte, meine Mutter sei tot. Es ist in der Türkei nämlich üblich, zuhause zu wohnen, bis man heiratet und wann immer ich erzähle, dass ich mit 19 ausgezogen bin, bekommen alle Türken große Augen. Arifes Mutter ging also selbstverständlich davon aus, ich sei eine Vollwaise, weil ich nicht mehr bei meinen Eltern lebe. Dann bot sie mir an, auf ihrer Couch zu wohnen (sobald ich genug türkisch kann, um mit ihr zu sprechen) und diese Einladung bekam ich im Laufe des Tages etwa sechs Mal - nämlich von allen Geschwistern und Freunden. Gastfreundlichkeit wird groß geschrieben in der Türkei.
Anschließend las Arifes Bruder aus dem Kaffeesatz meines Türkischen Kaffees (schmeckt wie Espresso mit sehr viel Zucker) und prophezeite mir den vollkommenen Verlust meiner Flugangst und dass drei Menschen mir eine Nachricht überbringen werden. Und dass ich irgendwo sein werde, wo viele Mengen sind. Last but not least wird mein Wunsch in Erfüllung gehen (den ich mir vorher im Stillen überlegen musste) und wenn er das tut, dann soll ich ihm ein Geschenk machen. Schokolade wäre ok.
Die nächste Station war bei guten Freunden meiner Gastfamilie. Wir saßen zusammen, aßen (natürlich) und mir wurde wieder angeboten, zu bleiben.
Spät am Abend besuchten wir die Familie von Birol, meinem Gastvater. Er ist das jüngste Kind, mit vier älteren Schwestern. Daher auch sein Name: Birol - erster Sohn. Erneut saßen viele, viele Menschen in einem kleinen Wohnzimmer und redeten. Als begierigster Türkischlehrer erwies sich dabei der fünfjährige Ferhol, der mit mir Seite für Seite seine Kinderbücher durchging: "Biiiiiiiiier elma!" (Ein Apfel) und mich dann auffordernd ansah, damit ich es wiederholte. Nach dem zweiten Buch, trug er mir den Inhalt eines Kinderbuches aus dem Gedächtnis vor, ohne einzuräumen, dass ich kein Wort seiner ausschweifenden Ausführungen verstand. Einmal angefangen ließ er sich dann aber nicht mehr stoppen und holt ein ums andere seiner Spielzeuge, um mir die Frage "Bu ne?" (Was ist das?) zu stellen und mich dann ausdauernd aufzuklären und mir die Funktionen seiner Autos, Spielfiguren und Kuscheltiere vorzuführen.
Tatsächlich habe ich die meiste Zeit fast nichts verstanden, es sei denn, jemand hat für mich übersetzt. Das übrige Gespräch wurde zu einem Rauschen. Das ist es nun also was bleibt, wenn man von den Familientreffen den Gesprächsinhalt löscht: Ein geselliges Zusammensein, viele Gesichter, laute Stimmen, quietschige, überdrehte Kinder und viel zu viel Essen. So sehr anders als Weihnachten ist es nicht.
Mein Gastbruder Bora hat den Tag treffend zusammengefasst. Im Fahrstuhl auf dem Weg zum Auto und mit glühenden Wangen sah er mich an und meinte auf Englisch: "Every year we are visiting different houses and afterwards we are all very tired."
hey alles gute und viele grüße Aus deutschland
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